Aus den Feuilletons

Haftbefehl, Schreibenergien und komische Namen

Die neueste Version des maschinenlesbaren und angeblich fälschungssicheren Personalausweises, der ab 1. Januar 1986 erstmals ausgegeben werden soll, wird im Dezember 1984 vom Bundesinnenministerium in Bonn vorgestellt. Ob dies die entgültige Form des umstrittenen Ausweises sein wird, muß noch vom Bundestag entschieden werden.
Personalausweis von Erika Mustermann geborene Gabler - auf dem Foto: Pia Palazzi © dpa / picture alliance / Egon Steiner
Von Gregor Sander · 26.11.2014
Die "Zeit" belehrt über den richtigen Umgang mit dem neuesten Werk des Rappers Haftbefehl, aber gibt auch Patrick Modiano Raum, der sich bescheiden über seine Ambitionen auslässt. Die "Berliner Zeitung" dagegen zeigt sich heute volksverbunden: Sie kümmert sich um die Mustermanns.
"Die deutsche Literatur hat jetzt ein Problem",

behauptet Daniel Haas in der Wochenzeitung DIE ZEIT und benennt es auch: Haftbefehl, ein 28 jähriger Rapper aus Offenbach und seine neue Platte:

"Das Genre heißt Straßenrap. Es geht um das Leben im Großstadtghetto, um Drogen, Banküberfälle. Die Platte wurde von der Hip-Hop- Gemeinde erwartet wie eine Epiphanie, und die bürgerliche Popkritik hat sich viel Mühe mit ihrer sozialdemokratischen Auslegung gegeben. Ein Krisenwerk! Eine Sozialchronik!"

Aber: "Alles Quatsch. Pädagogische Lesarten versagen vor dieser Rollenprosa",
meint Auskenner Daniel Haas und gibt seinen bräsigen Kollegen mal ein bisschen Nachhilfe:
"Szenarien, wie ausgedacht von Gottfried Benn, dem man einen Drumcomputer ins Weinhaus Wolf gestellt hat und erklärt: Mach jetzt mal ernst mit deiner Macho-Poetik, von wegen 'Das Wort ist der Phallus der Geistes'."
Und dann wird in der ZEIT endlich Haftbefehl zitiert:
"Ich soll ihnen erzählen von meinem Major Deal, den ich mit Penis unterschrieb «, heißt es im Stück Saudi Arabi Money Rich."
Während einem die literarischen Probleme dieses Satzes noch in die Augen springen, haut einem Popkritiker Daniel Haas in der ZEIT schon Haftbefehls Musik um die Ohren:
"Schroff, fett, Jazz-Beats, denen man Blei an die Füße gebunden hat, um sie anschließend in einem Meer aus dräuenden Synthis zu versenken. Klingelton-Gefiepe, Sirenengeheul. Die Platte heißt Russisch Roulette. Allen, die Literatur lieben: Gebt euch die Kugel."
Oder lest das Interview mit dem diesjährigen Literaturnobelpreisträger Patrick Modiano, das Iris Radisch für die ZEIT in Paris geführt hat.
"Die Schriftsteller des 19. Jahrhunderts hatten noch die Energie, ihre Bücher wie massive Kathedralen zu bauen, so Modiano. Mir bleiben nur kleinste Bausteine, Fetzen. Meine Bücher sind so zerrissen wie mein Jahrhundert."
Derartig beruhigt kann man sich an das nächste große Ding wagen. Das verkündet Niklas Maak in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Als erster europäischer Versicherer bietet Generali Preisnachlässe an, wenn seine Kunden ihm ihre Körperdaten per App zusenden und so beweisen, dass sie gesund leben."
Und so funktioniert die schöne neue Welt beim italienischen Versicherungskonzern:
"Generali greift für dieses Telemonitoring auf ein Programm zurück, das der südafrikanische Versicherer Discovery entwickelt hat. Es heißt 'Vitality' und dokumentiert nicht nur die Einhaltung von Vorsorgeterminen, sondern auch, wie viele Schritte jemand geht, wie oft er Sport macht und wie viele Kalorien er zu sich nimmt."
Dass der Datenschutz hier vom Versicherten freiwillig aufgegeben wird, wundert Maak sehr, aber er hat euch paar ganz praktische Einwände:
"Unter Umständen lebt derjenige gesünder, der mal einen Cheeseburger isst, aber sich dafür weniger Stress im Büro macht und entspannt mit seinen Kindern auf dem Teppich spielt, statt mit dem Blutdruck eines Bomberpiloten durch den Feierabendverkehr zum Work-out zu rasen."
Da wünscht man sich doch zurück in eine Welt, in der Max Mustermann uns noch den Behördengang erklärte. Aber:
"Max Mustermann ist tot!" verkündet Phillip Löhle in der BERLINER ZEITUNG und ruft ihm nach:
"Max Mustermann. Der wusste immer, was zu tun ist. Er wohnte in der Musterstraße in Köln, war glücklich verheiratet mit Erika Mustermann, geborene Gabler und war ein großer Bürokrat."
Aber wer erklärt uns nun, wie wir den neuen Personalausweis beantragen? Es gibt einen Nachfolger verkündet Löhle:
"Erik heißt ebenfalls Mustermann, und hat am selben Tag wie Erika Geburtstag. Also muss er ihr Bruder sein. Womöglich ihr Zwillingsbruder? Aber das kann nicht sein, denn Erika ist ja eine geborene Gabler. Also ist er Erikas Sohn? Aber wer hat schon am selben Tag und im selben Jahr Geburtstag wie die eigene Mutter. Außerdem, sollte er auch Max’ Sohn sein, wäre er 14 Jahre älter als der eigene Vater. Wer bist du Erik Mustermann? Und woher kommst du? Und was hast du mit Max gemacht?"
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