Aus den Feuilletons

Gurlitt war nicht der feine Herr im Anzug

Die Schauspieler Boris Aljinovic als Karl Friedrich (l.) und Udo Samel als Cornelius Gurlitt stehen im Renaissance Theater in Berlin bei der Probe zum Stück "Entartete Kunst - Der Fall Cornelius Gurlitt"
Darstellung im Theater: Schauspieler Udo Samel als Cornelius Gurlitt (r.) in dem Stück "Entartete Kunst - Der Fall Cornelius Gurlitt" © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Tobias Wenzel · 13.01.2016
In der "FAZ" erinnert Julia Voss daran, dass die millionenschweren Kunstwerke Cornelius Gurlitts aus einer völlig vermüllten Wohnung gefischt wurden. Von dem Verdacht, es handele sich um eine der größten Raubkunstsammlungen der Geschichte, sei wenig geblieben.
"Sehr geehrte Damen und Herren, [...] Die Demokratie in Polen ist (trotz alarmierender und furchterregender Medienberichte) keinesfalls in Gefahr."
So heißt es, immer gleichlautend, in den Briefen, die deutsche Redaktionen neuerdings auf dem Postweg aus Polen erhalten. Darüber berichten Anne Fromm und Ronny Müller in der TAZ. Die beiden sind auf die polnische Webseite "Niezależna" gestoßen, die einem Netzwerk rechter und rechtsextremer Medien angehöre.
Auf dieser Seite finde man wortwörtlich den Text (auf Deutsch, Polnisch, Englisch, Französisch und Spanisch) und eine Aufforderung, einen solchen Brief an Medienvertreter und EU-Politiker zu schicken. Die TAZ zitiert Stefan Kornelius von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG mit den Worten:
"Ich halte nichts von gesteuerter Aufhetzerei und werde mich von ihr auch nicht daran hindern lassen, zu schreiben, dass ich mich um die Rechtsstaatlichkeit in Polen sorge."
Warnung vor einer "inneren Zensur"
Ob wohl auch Jan Opielka einen solchen Brief bekommt? In der BERLINER ZEITUNG berichtet er über die Absichtserklärung der neuen polnischen Regierung "künftig patriotische und historisierende Kultur" zu fördern.
Das gehe auf Kosten kritischer und wertvoller Projekte, schreibt Opielka und verweist auf den mit dem Oscar ausgezeichneten Film "Ida", in dem "die Rolle von Teilen der polnischen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg kritisch" gesehen werde. "'Ida hat mir nicht besonders gefallen", wird Polens Regierungschefin Beata Szydlo zitiert. "Der Film hat nicht sonderlich für Polen geworben, sondern ein eher negatives Bild gezeichnet."
Jan Opielka referiert die Befürchtung eines polnischen Publizisten, es könne in den Kulturinstitutionen zu einer "inneren Zensur" kommen: "Sie werden sich künftig weniger trauen, bestimmte Künstler zu fördern."
"Aus einem Berg von Lebensmittelresten geborgen"
Millionenschwere Kunst aus dem Müll unbeschadet zutage zu fördern, vor dieser Aufgabe standen die Experten, die vor zwei Jahren Cornelius Gurlitts Salzburger Wohnung betraten:
"Aus einem Berg von Lebensmittelresten, Dosen, Flaschen, Papieren und Kartons, überdeckt von Mörtel, Staub und Spinnweben, wurden die Kunstwerke von Monet, Manet oder Pissarro geborgen. [...] Augenzeugenberichten zufolge musste, wer das Haus betreten wollte, über ein Abfallgebirge klettern."
Die amerikanische Journalistin Catherine Hickley hat das geschrieben. Und Julia Voss zitiert es nun in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG als einen Beleg dafür, dass das Bild, das wir vom Kunsterben Cornelius Gurlitt haben, wohl falsch ist. Er sei nicht der feine Herr im Anzug gewesen, als der er in einigen Medien dargestellt worden sei.
Wichtiger aber: "Vom Verdacht, es handele sich um eine der größten Raubkunstsammlungen in der Geschichte der Bundesrepublik, ist wenig geblieben", schreibt Julia Voss. Ihr Artikel erscheint just an dem Tag, an dem die Taskforce Schwabinger Kunstfund ihre Ergebnisse präsentieren will.
"So wurde er ein Bauernopfer"
Julia Voss wagt schon vorher eine Bewertung: "Der Eindruck drängt sich auf, dass Cornelius Gurlitt in Bayern nicht zum Verhängnis wurde, dass er NS-Raubkunst besaß. Sondern dass er, spätestens im Jahr 2012, isoliert und hilflos geworden war. So wurde er ein Bauernopfer, mit dem sich gut von staatlichen Versäumnissen ablenken ließ."
Als Opfer sah sich auch Donald Pugh, der unter anderem wegen Vandalismus vor einem US-Gericht angeklagt war. Ihm gefiel nämlich sein Fahndungsfoto nicht, das die US-Polizei veröffentlicht hatte, nachdem er nicht zu seinem Gerichtstermin erschienen war. Darüber berichtet Viviane Schilling in der TAZ.
Pugh habe den Beamten ein neues Foto von sich, mit Anzug und Sonnenbrille, bei Facebook zur Verfügung gestellt und das so kommentiert: "Hier ist ein besseres, das andere war schrecklich." Allerdings, berichtet Schilling, habe Pugh seine "Sucht der medialen Selbstinszenierung" letztlich geschadet: (...) inzwischen wurde er in Florida erkannt und festgenommen."
Mehr zum Thema