Aus den Feuilletons

Grieche sein, heißt Nein sagen können

Demonstranten stehen mit griechischen Fahnen und "Oxi"-Plakaten vor dem angestrahlten Parlament in Athen.
Anhänger der "Nein"-Kampagne feiern vor dem Parlament in Athen das Ergebnis. © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Von Hans von Trotha · 06.07.2015
Auch die Feuilletons müssen erst einmal das Gegenteil vom Ja verdauen, das wohl bis auf Weiteres auch bei uns "Oxi" heißen wird. Eine "Oxikratie" sieht FAZ-Autor Michael Hanfeld am Werk.
"Wer sagt, dass bei den Griechen nichts funktioniert? Binnen kürzester Zeit wird ein Referendum angesetzt, und kaum zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale steht fest, dass die Griechen 'Nein' gesagt haben. Wozu genau, weiß allerdings niemand."
In derselben FAZ fragt Hubert Spiegel:
"Ob die Griechen noch Kavafis lesen? Er ist der Dichter ihrer schöngefärbten Niederlagen."
Nach der Niederlage gegen Atatürk 1922, zitiert Spiegel den Kavafis-Übersetzer Michael Schroeder, "erlebte das Land den tiefsten Einschnitt in seiner Geschichte: An die Stelle des 'Griechischseins' als Lebensart und geistige Haltung trat das 'Griechesein' als nationale Verpflichtung innerhalb der Grenzen des griechischen Staates."
Spiegel fügt hinzu:
"Nachdem am Sonntagabend die roten Balkendiagramme des 'Oxi' in allen griechischen Fernsehsendern größer und größer wurden, hieß Griechesein für einige Stunden nur noch dieses: nein sagen zu können."

Vorbilder in Lateinamerika

Der Politologe Jan-Werner Müller erklärt in der SÜDDEUTSCHEN, dass wir es dabei nicht mit einem südeuropäischen, sondern mit einem südamerikanischen Phänomen zu tun haben,
"Hinter dem südeuropäischen 'Populismus' stecken Ideen aus Lateinamerika."
Und:
"Die Verfechter einer neuen 'radikalen Demokratie' ... sind sich nicht in allem einig. Aber bei der Antwort auf eine Frage kennen sie alle ganz sicher die Antwort: Wer hat das Volk verraten? Sozialdemokraten."
Müllers überraschendes Fazit lautet:
"Wer kein populistisches Südeuropa will, muss sich daher vor allem fragen, was eigentlich die Sozialdemokratie heute so macht."
Und wer kann das hierzulande schon sagen, wo sich die SPD in der Großen Koalition und in allerlei anderen Institutionen versteckt. Im Deutschen Kulturrat zum Beispiel, der gerade, als sei's ein hämischer Nachruf auf den ewig "Ochi" sagenden Spieltheoretiker Yanis Varoufakis, die analogen Spiele nun zum Kulturgut erklärt hat, wie Cornelia Geissler in der BERLINER ZEITUNG berichtet:

Deutsche Brettspiele auf die Welterbeliste?

"Woanders kennt man nämlich nicht nur den Begriff der 'German Angst', ... sondern auch 'German Games'." (...) "Und was fängt man mit einem geprüften Kulturgut an? Man lässt es auf der Welterbeliste eintragen. Na ja so weit sind wir noch nicht. Erst einmal sollen die analogen Spiele in den Sammlungskatalog der Deutschen Nationalbibliothek (...) kommen."
Blick auf den Dom St. Peter und Paul in Naumburg (Sachsen-Anhalt). Der Dom ist das Wahrzeichen der Region und stammt zum größten Teil aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Er gehört zu den bedeutendsten Bauwerken der Spätromanik in Sachsen-Anhalt.
Das UNESCO-Komitee gibt Naumburg und seinem Dom eine zweite Chance, um sich auf den Welterbetitel zu bewerben. © picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Die Welterbeliste wurde gerade in Bonn verlängert, was Bernhard Schulz im TAGESSPIEGEL so zusammenfasst:
"Hamburg jubelt, Naumburg zagt, die Wikinger-Vertreter halten sich zurück."
Fredéric Schwilden liefert in der WELT eine Reportage, wie es der Champagner auf die Liste schafft.
"Im Wesentlichen besteht die Unesco-Konferenz daraus, dass sich Nationen, die sich nicht unbedingt mögen müssen, gegenseitig zu ihren genialen kulturellen Leistungen und Hinterlassenschaften gratulieren."
Ums nationale Kulturgut kümmert sich derweil neben dem Kulturrat die Kulturstaatsministerin. Im FAZ-Interview wird sie nach Objekten im künftigen Humboldt-Forum gefragt, "die auf teilweise sehr fragwürdige Weise ins Land gekommen sind".
Als habe die Frage ihm gegolten, ruft Mitgründungsintendant Horst Bredekamp im TAGESSPIEGEL aus:
"Gibt es in unserer von Kriegen und Kulturkämpfen beherrschten Welt ein wichtigeres Ziel, als Übungsfelder anzulegen, auf denen sich die Kulturen nicht-hierarchisch begegnen?"
Grütters antwortet pragmatischer:
"Inzwischen hat sich unter den Museumsexperten der Welt ein neues Selbstverständnis und Ethos durchgesetzt: Man denkt weniger in Besitzkategorien, sondern versteht sich als Bewahrer des Kulturerbes der Menschheit."

Plädoyer für Fleisch als Kulturgut

Fleisch zum Beispiel. Ja, in der WELT erklärt Eckhard Fuhr tatsächlich und im Wortlaut: "Fleisch ist ein Kulturgut".
"Der Abschied vom Fleisch käme, würde er wirklich von der gesamten Gesellschaft vollzogen, einem kulturellen Kahlschlag gleich. (...) Unsere Landschaft würde ohne Weidewirtschaft monotoner, ärmer an Schönheit und an Artenvielfalt. Unsere Sprache", fährt Fuhr, Autor eines Buchs über die Jagd, fort, "deren Reichtum sich nicht zuletzt dem wissenden Umgang mit Tieren verdankt, würde veröden."
Also mal im Ernst: Ein Hamburger Stadtteil, Deutsche Brettspiele, französischer Schaumwein, von WELT-Redakteuren erschossene Tiere – wenn all das kulturlistenwürdig ist, dann ist es das griechische "Oxi" vom Sonntag allemal.
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