Aus den Feuilletons

Gib dem Papst Gummi!

Die amerikanische Künstlerin Niki Johnson steht in Milwaukee neben einem Porträt von Papst Benedikt XVI., das sie aus ca. 17.000 verschiedenfarbigen Kondomen erstellt hat.
Die amerikanische Künstlerin Niki Johnson steht in Milwaukee neben einem Porträt von Papst Benedikt XVI., das sie aus ca. 17.000 verschiedenfarbigen Kondomen erstellt hat. © picture alliance / dpa / Adam McCoy
Von Gregor Sander · 01.07.2015
Die amerikanische Künstlerin Niki Johnson hat ein Porträt des emeritierten Papstes Benedikt XVI. geschaffen – aus 17.000 verschiedenfarbigen Kondomen. Naturgemäß regt das einige auf – doch die "Süddeutsche" weiß: allegorische Papstüberzeichnung ist keine Erfindung der Moderne.
"Wir müssen Duchamps Pinkelbecken in die Toilettenräume zurückschaffen".
Mit diesem Zitat derkubanischen Künstlerin Tania Bruguera beginnt Hanno Rauterberg seinen Artikel über politische Kunst in der Wochenzeitung DIE ZEIT.
"Das soll heißen: Wenn überall auf der Welt neue politische Konflikte entflammen, darf die Kunst nicht zurückbleiben. So sehen es viele heute."
Ob das Zentrum für Politische Schönheit vor dem Bundestag Gräber für ertrunkene Flüchtlinge ausheben will oder Milo Rau zum Kongo-Tribunal ins Theater lädt, Rauterberg hat deutliche Probleme mit dieser Vermischung von Realität und Kunst, sieht aber auch im Abstand zum Problem nicht unbedingt die Lösung. Denn für diese politische Kunst heißt es bei ihm:
"Im ästhetischen Reich des Ungefähren umkreist sie ihre Themen mehr, als dass sie sie benennt oder diskursiv beleuchtet, und hinterlässt daher beim kritischen Besucher entweder ein großes Unbehagen, weil er über die Konflikte der Welt von anderen Medien weit gründlicher informiert wird. Oder aber der Besucher lehnt sich wohlig zurück, bestätigt in seiner Auffassung, dass der Neoliberalismus ja wirklich viel Schaden auf der Welt anrichte. Der Künstler überzeugt mit seiner Kunst nur die ohnehin Überzeugten."

Papstbilder mit Teufelsfuß, Brüsten und Schuppenhaut

Das dürfte auch auf dieses Kunstwerk zutreffen, von dem die Tageszeitung DIE WELT berichtet:
"Ein aus 17.000 Kondomen gefertigtes Porträt vom emeritierten Papst Benedikt XVI. sorgt in den USA für hitzige Diskussionen. Das Werk der Künstlerin Niki Johnson, das dem Milwaukee Art Museum geschenkt wurde, sei eine Beleidigung des früheren Papstes, kritisierte das Erzbistum Milwaukee."
Man habe ja nur eine Diskussion über AIDS anstoßen wollen, verkündete die Museumsleitung pflichtschuldig. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG findet diese Form der Karikatur auch gar nicht so neu:
"Karikatur und allegorische Überzeichnung des Papstes sind keine Themenerfindungen der Moderne", betont Bernd Graff und nimmt seine Leser mit in die Vergangenheit:
"Lucas Cranach der Ältere zeigte 1522 den Papst als 'Untier aus dem Abgrund', ein Drache mit Krone. Sein 'Papstesel' mit Schuppenhaut, Brüsten, Kralle und Teufelsfuß symbolisiert den Verfall des Papsttums. Hans Sebald Beham zeichnete 1524 die 'Höllenfahrt des Papstes'. Mitte des 16. Jahrhunderts rüstete die glaubensverfeindete Christenheit bildpolemisch gegeneinander auf: Der Papst als Teufel, Schwein, Hurenbock – alles sehr explizit. Dagegen ist der knallbunte Kondompapst von heute ein Gummibärchen."

Die Evolution hat Lesen nicht vorgesehen

Doch ein paar Seiten weiter klärt Lothar Müller uns auf, dass wir zum Lesen eigentlich gar nicht in der Lage sind:
"Ein nicht zuletzt für Zeitungsleser bedenkenswerter Satz ist der folgende: 'Aus neurowissenschaftlicher Perspektive ist die Lesefähigkeit faszinierend, weil das Gehirn von der Evolution nicht für diese Tätigkeit gemacht wurde'."
Entnommen hat der Kritiker diesen Satz dem Sachbuch von Michael Hagner "Lesen ist eine Kulturtechnik". "Wofür eigentlich die Areale, die im Gehirn für das Lesen unverzichtbar sind, gemacht waren, bevor vor ungefähr 6.000 Jahren das Lesen begann" - das weiß auch Lothar Müller nicht.

Italienische Wetterbezeichnungen sind einfach drastischer

Also vielleicht einfach übers Wetter reden? "Seit wann hat Hitze einen Namen?", fragt Dirk Schümer in der WELT und erregt sich über die phantasielosen deutschen Vornamen für Hochs und Tiefs. Das aktuelle Sommerhoch heißt übrigens "Annelie". Da schaut Schümer lieber über den Brenner:
"Seit ein paar Jahren erzittern die Italiener vor Antizyklonen, die auf ominöse Weise sämtliche Bösewichter des Schulunterrichts evozieren: Hannibal, Caligula, Nero."
So hat auch das aktuelle Afrikahoch in Italien nicht den Namen einer norddeutschen Großmutter, sondern es heißt "Flegetonte".Und wer da selbst mit einer humanistischen Bildung passen muss, den klärt Dirk Schümer auf:
"Im Inferno von Dantes 'Göttlicher Komödie' heißt ein feuriger Höllenfluss, der die Verdammten foltert, genau so: Flegetonte."
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