Aus den Feuilletons

Fußball-Fachsimpeleien

Fußball UEFA Champions League, Viertelfinale Rückspiel: FC Bayern München - FC Porto am 21.04.2015 in der Allianz Arena in München (Bayern): Münchens Thomas Müller (l) und Thiago Alcantara.
Unser beruflicher und ökonomischer Erfolg ist in Gefahr, wenn wir keine Ahnung von Fußball haben, meint Felix Zwinzscher. © picture alliance / dpa / Thomas Eisenhuth
Von Arno Orzessek · 05.05.2015
"Sprechen Sie Fußball?", fragt die "Welt" mit Blick auf das Champions League-Halbfinale zwischen dem FC Bayern und dem FC Barcelona. Der Autor beklagt seine Unmündigkeit in der Königsklasse des Ballsports. Diese treibe ihn in die soziale Isolation.
"Sprechen Sie Fußball? Dann schätzen Sie sich glücklich. Mir dagegen droht nach dem Halbfinale der Champions League (zwischen Barcelona und Bayern) wieder die soziale Isolation",
beklagt Felix Zwinzscher in der Tageszeitung DIE WELT sein existenzielles Handicap – nämlich die totale Unmündigkeit in puncto Fußball-Fachsimpelei.
"Nicht nur das Gemeinschaftsgefühl wird uns versagt, auch unser beruflicher und ökonomischer Erfolg ist in Gefahr. Anders als der Smalltalk über das Wetter, stellt der (über) Fußball die oberflächliche Sympathie eines gemeinsamen Interesses her – eine psychologische Spiegelung, die den Narzissmus des Gegenübers befriedigt. Es entsteht ein Kumpelgefühl, das das Gegenüber bewegt, einem Gutes zu tun. Ein Wunderwerk des Unterbewusstseins."
- findet Felix Zwinzscher und appelliert ans Mitgefühl der WELT-Leser:
"Sollten Sie anders als ich Fußball sprechen, denken Sie also daran, dass der FC Bayern auch für Ihr soziales Wohlbefinden spielt. Und vergessen Sie (nach dem Spiel) nicht uns Fußballschwache. Linkshänder und Dyslexiker hat die Gesellschaft ja auch integriert."
Wir merken an, dass der FC Bayern unser Wohlbefinden am stärksten beförderte, wenn er bei Barca verlöre – je höher, desto stärker ...
Und kommen zu einer anderer Wohlbefindlichkeitsbeschaffungsbranche.
Logo des Internet Konzerns Google
Logo des Internet Konzerns Google© picture alliance / Ole Spata
Weltbeglückungsagenturen im Silicon Valley
"Jetzt seid doch endlich mal happy!", überschreibt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ihren Bericht über die Weltbeglückungsagenturen im Silicon Valley.
"Google ist eine Glücksmaschine. In den Google-Laboren tüfteln Ingenieure an den Algorithmen des Glücks. Googles Chief Happiness Executive, Chade-Meng Tan, leitet ein Panel mit dem Titel 'Make Yourself the Happiest Person on Earth'. Glücklichsein wird zur obersten Daseinsform. Das Silicon Valley hegt die Obsession, die (ganze) Menschheit glücklich zu machen."
Na ja. Glücklich derjenige, der so zu seinem Glück kommt! Uns selbst missfällt die Glücksgleichschaltungs-Ideologie à la Google. Ach was! Sie ekelt uns an.
Und auch FAZ-Autor Adrian Lobe scheint skeptisch zu sein:
"Das Glücksmantra der Technikkonzerne kommt ohne politisches Pathos daher. Das Silicon Valley, ein 'apolitisches Fantasyland', wie 'Washington Post'-Autor Brian Fung einmal bemerkte, ist nicht nur unpolitisch, es depolitisiert uns auch. Das Ziel dieser Beglückungsstrategie ist es, den Nutzer so lange einzulullen, bis er sich vollkommen in die Aufmerksamkeits- und Bewusstseinsindustrie eingepasst hat."
Tim Cook steht auf einer Bühne, im Hintergrund eine große Uhr auf einem Bildschirm zu sehen.
Tim Cook bei der Vorstellung der Apple Watch in San Francisco.© dpa/picture alliance/Kyodo/MAXPPP
Atme tief durch!
Wozu nun auch die Daten- und Vermessungshandapparatur namens Apple Watch beitragen soll.
"Pock-pock, da-da, t-t und br-r-r-R" betitelt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG Jörg Häntzschels Besprechung selbiger Uhr, falls man das High-End-Ding altmodischerweise so nennen will.
"Das dämlichste Gimmick der Watch, die Möglichkeit, der oder dem Liebsten ein im eigenen Rhythmus schlagendes Bild seines Herzens zu schicken, ist nicht zufällig gewählt: Kommunikation mithilfe der Apple Watch ist Kommunikation von Körper zu Körper. Das in Echtzeit klopfende Herz ist das Selfie des biometrischen Zeitalters. Und die Uhr misst ja nicht nur. Wer eine Stunde lang im Stuhl hing, den ermahnt sie, br-br: 'Zeit aufzustehen'. Die App 'Cue' geht noch weiter: Wie eine strenge Gouvernante befiehlt sie je nach Verhalten: 'Trinke Wasser', 'Streck Dich', 'Atme tief durch', 'Achte auf Deine Haltung'."
Weil wir heute zu allem persönlichen Senf dazugeben, bekennen wir an dieser Stelle: Unsere letzte Armbanduhr ging vor etwa 35 Jahren verloren. Und gewiss kommt uns auch die iWatch, dieses kindische Selbstdrangsalierungsgadget, nicht ans Handgelenk. Wenn wir nämlich erst zum Atmen und Wassertrinken Apples Hilfe bräuchten – dann sind wir tot und brauchen sie nicht mehr.
Indessen: Nichts für ungut! Ihnen, liebe Hörer, raten wir, der Parole zu folgen, die in der BERLINER ZEITUNG Überschrift wurde. Sie lautet:
"Immer sinnlich statt prüde."
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