Aus den Feuilletons

Für alle Besserwisser

Ein Schüler meldet sich einer Schule in Stuttgart während des Unterrichts.
Wissen Sie, was "Affordanz" ist? © dpa/ picture alliance / Inga Kjer
Von Arno Orzessek · 04.01.2017
Wer es liebt, in geselliger Runde mit besonderem Wissen zu glänzen, dem empfiehlt Arno Orzessek die heutige Ausgabe der "Neuen Zürcher Zeitung". Die hat eine Liste mit Begriffen und Ideen veröffentlicht, die Bescheidwisser im Jahr 2017 kennen sollten.
Wir bleiben diskret, liebe Hörer. Wir wollen gar nicht wissen, ob Sie in Ihren Kreisen als Bescheidwisser verehrt werden - oder doch eher gefürchtet. Wir sagen nur: Falls Sie Ihr Niveau als Bescheidwisser steigern wollen, dann kaufen Sie sich die Donnerstags-Ausgabe der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG!
Die NZZ stellt im Feuilleton die Frage: "Welches sind die wissenschaftlichen Begriffe und Ideen, die im Jahre 2017 (… jawohl, da steht ‚im Jahre‘ und nicht ‚im Jahr‘) jeder Bildungsbürger kennen sollte?"
Es sind derer zwölf - von der NZZ ausgewählt aus den zahlreichen Vorschlägen, die den New Yorker Literaturagenten John Brockman in seinem Cybersalon Edge erreicht haben.
Einer Netz-Institution, die laut NZZ "den populärwissenschaftlichen Disput mit dem Anspruch (fördert), auf der Höhe der Zeit zu sein".

Zum Beispiel: Mysterianismus

Dank Edge im virtuellen Hintergrund und mit der papierenen NZZ in der Hand erfährt man nun unter der Überschrift "Wir wissen nicht, was wir nicht wissen" endlich, was es mit dem "Mysterianismus" auf sich hat.
Wer sich dieser Erkenntnis verweigert, den interessiert gewiss das Phänomen "Willentliche Ignoranz", das Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung unter der Überschrift "Warum wir manchmal lieber wegschauen" erklärt.
Der Schriftsteller Ian McEwan schaut genau hin. Und zwar auf die Navier-Stokes-Gleichungen, mit deren Hilfe – hier linsen wir kurz zu Wikipedia rüber – "die Strömung von Newtonschen Flüssigkeiten und Gasen" beschrieben wird.
Und so dreht es sich rasend weiter, das NZZ-Begriffs- und Bildungskarussell.
Der Psychologe Steven Pinker klärt unter der simplen Überschrift "Chaos regiert" die schon etwas kniffligere Sache mit dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, während sich der Philosoph Daniel Dennett der Affordanz annimmt.
Sie, liebe Bescheidwisser, wissen natürlich, was Affordanz ist – oder?
Nein? – Dann wiederholen wir uns gern: Unbedingt NZZ lesen!

Sprachexperte zerfetzt kritische Ausgabe von "Mein Kampf"

Der kürzeste Beitrag stammt übrigens von dem Musiker Brian Eno und ist dem "Bestätigungsfehler" gewidmet.
"Die große Verheißung des Internets lag in der Idee, dass mehr Information automatisch zu besseren Entscheidungen führen würde. Die große Enttäuschung liegt darin, dass mehr Information im Endeffekt mehr Möglichkeiten bietet, das zu bestätigen, was man ohnehin schon gedacht hat."
So Brian Eno in der NZZ.
Dass auch die Lektüre von Adolf Hitlers "Mein Kampf" bei gewissen Lesern zu Bestätigungsfehlern führen könnte, das befürchtet Jeremy Adler. Der britische Dichter und Experte für Deutsche Sprache sowie Holocaust-Literatur zerfetzt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG die kritische Ausgabe von "Mein Kampf", die vor einem Jahr erschienen ist und bisher 85.000mal verkauft wurde.
Am Ende seiner – auch sprachlich – furiosen Auseinandersetzung mit der "Kampf"-Ausgabe, in der er Kommentierungsfehler noch und noch findet, resümiert Adler in der SZ:
"'Mein Kampf' ist derartig infam, die Zahl der gemeinen Schläge so überwältigend, dass selbst ein Gespann von Gelehrten das Schreckgebilde nicht in Zaum zu halten vermag. Es ist methodologisch nicht möglich, den Gehalt des Buches zu neutralisieren. Das Ergebnis gleicht dem, was Aristoteles ein ‚Monstrum‘ nennt. Die vier Herausgeber haben mit Fleiß und Mühe versucht, das Unmögliche zu leisten. (…) (Aber:) Das absolut Böse lässt sich nicht edieren. Es gefährdet jegliches Gute."
Wir verneigen uns vor dem engagierten Jeremy Adler – ohne seine Meinung restlos zu teilen.
Unseres Erachtens entlarvt schon die Lektüre der Originalausgabe, das "Mein Kampf" vor allem dümmlich aufgeblasener Unfug ist. –
Aber nun!

Broder: Attentats-LKW vom Berliner Weihnachtsmarkt ins Museum

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG gratuliert der Soziologin Saskia Sassen zum 70. Geburtstag. Und zwar so, dass jeder mitbekommt, was sich schwer bestreiten lässt: Sassen ist die ungekrönte Königin der theoretisch-schwammigen Zuviel-Schreiberei.
Zu vorletzt noch das: Henryk M. Broder unterstützt die Idee, den Attentats-LKW vom Berliner Weihnachtsmarkt ins Museum für Deutsche Geschichte zu verfrachten – nachzulesen in der Tageszeitung DIE WELT.
Zuletzt nur noch: Tschüss!
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