Aus den Feuilletons

"Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein"

Stückemarkt beim Theatertreffen 2015: Daniel Cremer vom Performance-Kollektiv "Talking Straight"
Stückemarkt beim Theatertreffen 2015: Daniel Cremer vom Performance-Kollektiv "Talking Straight" © Promo
Von Hans von Trotha · 04.05.2015
Wie mutig ist das Feuilleton in seinen politischen Meinungsäußerungen, fragt sich Kulturpressebeschauer Hans von Trotha und zitiert Matthäus 5, 37. Aufregung gab es zum Beispiel bei der Preisverleihung des PEN an "Charlie Hebdo", berichtet die "NZZ".
"Endlich einmal was los bei der PEN-Gala in New York",
hebt Andrea Köhler in der NZZ an, versieht den flotten Auftakt aber erst einmal mit einem verschämten Fragezeichen, um es dann doch auszusprechen:
"Kaum ein Kommentator, der nicht anlässlich der Aufregung um die Vergabe des 'Freedom of Expression Courage Award' der dieser Veranstaltung gemeinhin eignenden Langeweile mit freundlicher Ironie gedachte: die notorisch schlecht sitzenden Fräcke der Schriftsteller, die Vorhersehbarkeit der Preisträger, die endlose Litanei der Ansprachen, der verstohlene Blick auf die Uhr, das ewige Hühnchen in Gelee!"
Dabei geht es um viel. Die Debatte ist vertrackt – und starke Meinungen tun ihr gut. Preisträger "Charlie Hebdo" wird "Islamophobie", "Rassismus", "kulturelle Intoleranz" und "forcierter Säkularismus" vorgeworfen, ja es wurde gar die Frage gestellt, ob die Karikaturen gar "nicht mehr in die Domäne der freien Rede, sondern ins Reich der 'hate speech' gehören". US-PEN-Präsident Andrew Salomon hält dagegen:
"Der Preis an das Magazin werde nicht für dessen publizistische Inhalte verliehen: 'It's a courage award, not a content award.'"
"Das letzte Mal", erinnert sich Andrea Köhler, "als ein ähnlicher Wirbel die Gala-Routine aufmischte, (...) war 1986, als der damalige PEN-Vorsitzende Norman Mailer den republikanischen Secretary of State, George P. Shultz, zu einer Ansprache einlud. Etliche Schriftsteller protestierten mit Sprechchören gegen den Auftritt eines Abgesandten der Reagan Administration (...) Mailer, ein selbsternannter 'Linker seit 40 Jahren', dem der 'katatonische' Dogmatismus seiner Gesinnungsgenossen schwer auf die Nerven ging, warf sich unverzüglich zur Verteidigung der Redefreiheit in den Ring: 'Ihr könnt mich alle mal ...!', brüllte er seine Kollegen an."
Fallstricke auf dem Berliner Theatertreffen
Das war eine unmissverständliche Position. Und davon brauchen wir mehr – in der Kunst sowieso, aber auch an der Schwelle zwischen Kunst und Politik. Von der berichtet Ulrich Seidler in der BERLINER ZEITUNG. Denn nicht nur in New York, auch in Berlin, beim Theatertreffen geht es hoch her. Das Festival hat dazu aufgerufen, sich mit der Kampagne "My Right Is Your Right" zu solidarisieren.
"Das war ein seltsam zu erlebender Schritt aus dem geschützten Kunstraum in die Wirklichkeit, vom Denken zum Handeln."
Und, so Seidler weiter:
"Diesen Schritt in die Wirklichkeit will auch das Theatertreffen gehen. Es setzte einen Thementag zu der Frage an, wie sich Rassismus und Kunst beziehungsweise Kulturbetrieb zueinander verhalten."
Eine Diskussion über das sogenannte "Blackfacing", also das Schwarzschminken weißer Schauspieler, führte dazu, dass das Festival als rassistisch gebrandmarkt wurde. Dazu zitiert die BERLINER ZEITUNG die Veranstalterin:
"Die Diskussionen beim Thementag seien sehr differenziert gewesen sein, sagt TT-Leiterin Yvonne Büdenhölzer. Sie sei froh, dass diese Debatte in Gang gekommen ist. Sie werfe viele Fragen auf, halte aber auch viele Fallstricke bereit. Diese Fallstricke sorgen dafür, dass es einfacher ist, sich jedes Kommentars zu enthalten."
Genau das vor 17 Jahren getan zu haben, wünscht sich im Nachhinein der alte Martin Walser. Gerrit Bartels zitiert im TAGESSPIEGEL aus dem Interview, das Walser dem "Spiegel" gegeben hat, in dem er zu Protokoll gibt:
"Ich könnte die Paulskirchenrede so nicht mehr halten."
Gerrit Bartels kommentiert:
"Was Martin Walser damals nicht in den Sinn kam: dass auch eine Rede wie die seine, die er heute noch, 17 Jahre später, erklären muss, die also eine nicht wirklich gute, die keine unmissverständliche Rede war, ebenfalls instrumentalisiert und von falscher Seite beklatscht wurde. Und dagegen muss er sich bis heute wehren."
Vorwürfe an einen Dirigenten
"Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel." - Das ist nicht Gerrit Bartels, sondern Matthäus 5,37. – Und es könnte als Motto über dem Feuilleton-Tag mit seinen politischen Meinungsäußerungen stehen. Dazu gehört auch das WELT-Interview mit der venezolanischen Pianistin Gabriela Montero. Sie erhebt schwere Vorwürfe gegen ihren Landsmann, den Star-Dirigenten Gustavo Dudamel:
"Dudamel hält sich politisch bedeckt. Er setzt sich nicht für die wahren Probleme ein, was ich für unverantwortlich halte. Dudamel hat das Mittel des Schweigens gewählt und ist aktiv in die Geschehnisse verwickelt. Eine vertane Chance. Und eine Schande dazu."
Frau Büdenhölzer vom Theatertreffen hat schon recht: Es ist immer einfacher, "sich jedes Kommentars zu enthalten". Mutiger ist es allerdings, das nicht zu tun – schon gar im Feuilleton.
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