Aus den Feuilletons

Empörung über den Umgang mit Elena Ferrante

Szene aus einer Verfilmung eines Elena-Ferrante-Romans.
Szene aus einer Verfilmung eines Elena-Ferrante-Romans. © imago
Von Klaus Pokatzky  · 07.10.2016
Die Mehrheit des Feuilletons ist sich einig: Die Enttarnung der italienischen Schriftstellerin hinter dem Pseudonym Elena Ferrante sei ein Unding. So zitiert der "Spiegel" die deutsche Übersetzerin Karin Krieger mit den Worten "widerwärtig, überflüssig, vulgär".
"Claudio Gatti ist der wohl meist geschmähte Journalist derzeit."
Das steht in der BERLINER ZEITUNG. Claudio Gatti:
"Ein 61 Jahre alter, in New York lebender Investigativ-Reporter", schreibt Regina Kerner, "der sich seit Jahrzehnten mit Korruptionsskandalen bei der Uno, mit Mafia und kriminellen Menschenhändlern befasst."
Der meist Geschmähte avancierte in dieser Woche ja zum Dauerbrenner in den Feuilletons, weil er aufgedeckt haben will, wer sich hinter dem Pseudonym Elena Ferrante verbirgt: angeblich eine römische Übersetzerin.
"Er hatte unter anderem deren Bankkonto ausgeforscht, auf das die Honorare für die Neapel-Trilogie flossen", beschreibt die BERLINER ZEITUNG die investigative Vorgehensweise, als ob es sich bei der Literatin um eine steuerhinterziehende Mafiosa handeln würde.

Zerstörung der Privatheit

"Widerwärtig, überflüssig, vulgär und schade", findet das Elena Ferrantes deutsche Übersetzerin Karin Krieger. "Es ist ein unglaublicher Mangel an Respekt der Autorin gegenüber", sagt sie im Interview mit dem SPIEGEL:
"Der Wunsch nach Privatheit wird mit kriminalistischen Methoden zerstört, als wäre heute schon dieser Wunsch kriminell." Die SPIEGEL-Interviewer erinnern daran, was Elena Ferrante vor einigen Wochen in einem Interview mit dem Magazin erklärt hatte:
"Sie sagte uns, sie fürchte den Moment ihrer Enttarnung nicht, würde aber sofort aufhören zu publizieren."
Übersetzerin Karin Krieger: "Es wäre ein gewaltiger Verlust für die Literatur. Ich will mir das gar nicht vorstellen."
Gattis Geschichte haben unter anderem die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und die New York Review of Books gebracht. Ich bringe den enthüllten Namen hier nicht, weil ich Respekt habe – oder, wie es die Tageszeitung DIE WELT etwas wolkig schreibt:
"Auch pseudonyme Autoren haben ein Recht auf eine Poetik."

Kostprobe aus der "Leit- und Rahmenkultur"

Wolkig können aber auch andere. Zum Beispiel "fünf Abgeordnete der CSU und der CDU Sachsen", die uns der SPIEGEL präsentiert – mit ihrer "Leit- und Rahmenkultur", die den Pegidisten und AfDlern offenbar das trübe Wasser abgraben soll. Kleine Kostprobe aus der "Leit- und Rahmenkultur" der fünf Unionspolitiker:
"Das Zusammenwirken von Antike, Christentum und Aufklärung mitsamt Europas ´Einheit in Vielfalt`." Ja ja, das Abendland. "Diese Elemente ergeben kein Ganzes", schreibt Nils Minkmar im SPIEGEL: "Die Aussage entsteht durch Auslassung: Orient, Islam, Tausendundeine Nacht – diese Dinge rechnen die Autoren nämlich nicht zur europäischen Leitkultur."

Das christliche Glockengeläut und das Morgenland

Vergessen wir die heute gebräuchlichen Zahlen nicht, die die Araber aus Indien nach Europa importierten. Und vergessen wir das christliche Glockengeläute nicht, von dem sich einst der Heilige Franziskus von Assisi durch einen Besuch bei einem Sultan im Morgenland inspirieren ließ.
"Allein im katholischen Ruhrbistum sind 96 Kirchen bedroht, in Bochum jede dritte. Deshalb ist gerade diese Stadt zu einem Zentrum des Widerstandes gegen das Kirchenmassaker in Deutschland geworden."
Das erfahren wir aus der WELT zu Abrissplänen von Kirchen – wie etwa "für die ehrwürdige St. Marienkirche mitten im Stadtzentrum". St. Marien? Da habe ich jeden Donnerstagmorgen ab halb acht meinen Schulgottesdienst gefeiert.
"Das Gotteshaus ist futsch. Das Bauwerk gerettet", beruhigt mich in der WELT jetzt Dankwart Guratzsch. Eine Bürgerinitiative hat für den Erhalt der Kirche gekämpft, jetzt dient sie als Foyer eines neuen Musikzentrums.
"Mit wie viel Herzblut die Bochumer ihrem Musikzentrum entgegengefiebert haben, zeigt das Spendenaufkommen. Die unglaubliche Summe von 14,6 Millionen Euro wurde von Privatleuten aufgebracht."
So sind wir Bochumer.
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