Aus den Feuilletons

Ekel gegenüber AfD verrät Misstrauen in Demokratie

Demonstranten protestieren mit Transparenten in Oldenburg gegen einen Auftritt von Parteichef Bernd Lucke und seiner Partei Alternative für Deutschland (AfD).
Demonstranten protestieren mit Transparenten in Oldenburg gegen einen Auftritt von Parteichef Bernd Lucke und seiner Partei Alternative für Deutschland (AfD). © picture alliance / dpa / Ingo Wagner
Von Arno Orzessek · 05.09.2016
Mehr Vertrauen in den Parlamentarismus und einen furchtloseren Umgang mit der AfD wünscht sich die "FAZ". Statt die Partei unter den Generalverdacht der Demagogie zu stellen, sollten wir ihr mit Argumenten begegnen.
"Seid furchtlos und führt die Debatte."
Das empfiehlt im Nachgang zu den – für die AfD ziemlich triumphalen – Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, und genauer der Autor Paul Ingendaay, der nach vielen Jahren in Spanien nun wieder in Deutschland lebt. Ingendaay betont seine jüngste Wiederankunft ausdrücklich – und reklamiert damit eine frische, von Routine ungetrübte Perspektive. Seine Diagnose lautet:
"Der Ekelfaktor prägt den Umgang mit der AfD. Das ist sinnlos, kontraproduktiv und verrät Misstrauen gegenüber unserer Demokratie."
Ingendaay zitiert beispielhaft die These des AfD-Wahlsiegers Erik-Leif Holm, der behauptet hat, seine Partei schüre keine Ängste, sondern greife Ängste auf.
Denn merke mit Holm: "'Es ist Aufgabe der Parteien, die Themen zu erörtern, die den Menschen wichtig sind.'"
Dazu Ingendaay:
"[Dieser] Satz, von einem SPD-Politiker gesprochen, wäre unanfechtbar […]. Im Mund des AfD-Mannes wird er, so suggerieren uns manche Medien, zur Demagogie. Doch diesen Generalverdacht haben wir lange genug gepflegt. Es ist an der Zeit, die Debatte furchtloser zu führen. Wo bleibt das Vertrauen in den Parlamentarismus? Und sind wir wirklich darauf angewiesen, vor Hitler zu warnen, um der AfD mit Argumenten zu begegnen? Das ganze Antifa-Gedöns vernebelt doch nur eine ziemlich weit verbreitete Empfindung in diesem Land: Wir wissen nicht mehr, was kommt",
unterstellt Paul Ingendaay in der FAZ. Übrigens der einzigen Zeitung, in der die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern auch im Feuilleton thematisiert werden.

Religiöser Totalitarismus in Romanform

Falls die AfD-Vorderen auf die Idee kommen sollten, ihre Islam-kritische Haltung literarisch zu unterfüttern, könnten sie zu Boualem Sansals "2084" greifen. Ein Buch, in dem der algerische Autor die Vision einer Welt ausbreitet, in der nach einem großen heiligen Krieg Islamisten das Sagen haben.
Sansals Kollege Michel Houellebecq, so berichtet Jörg Aufenanger in der BERLINER ZEITUNG, hat "2084" gelobt – und zwar mit den Worten:
"'Sansal beschreibt einen wirklichen religiösen Totalitarismus. […], sein Roman ist äußerst plausibel.'"
Aufenanger selbst sieht das anders:
"Gerade aufgrund der Tatsache, dass Sansal […] wohl sein 'großes Werk' verfassen und zudem seine Rolle als moralische Instanz festigen wollte, wirkt es auf mich vorhersehbar und angestrengt."
Ach ja! In Sachen Islam-Kritik hat sich ein weiteres Mal Alice Schwarzer engagiert und in Zürich mit Saida Keller-Messahli vom Forum für einen fortschrittlichen Islam diskutiert. Was der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG einen Bericht wert ist, in dem Charlotte Theile einen Höhepunkt des Abends so beschreibt:
"Der sachliche Ton, um den sich die beiden Diskutantinnen am Anfang bemühten, ist bald weg. 'Erst kommen die Frauen, dann die Juden, dann die Homosexuellen, dann die Intellektuellen – und zum Schluss alle, die nicht auf den Knien liegen', ruft Alice Schwarzer, der Saal tobt. In 'diesen' Ländern, 'werden Sie sofort totgeschlagen, wenn Ihnen das Tuch verrutscht'‘, legt sie nach, Buh-Rufe, Szenen-Applaus, der Moderator und die Schweizer Expertin rutschen unbehaglich auf ihren Stühlen umher."

Alice Schwarzer, die Wüterichin

Ja, man kann es sich lebhaft ausmalen, was Charlotte Theile über den weiblichen Wüterich – oder gender-korrekt vielleicht besser: die Wüterichin – Alice Schwarzer unter dem Titel "Es geht um Leben und Tod" berichtet.
Aber lassen wir den Krawall hinter uns und schließen mit einem Live-Style-Hinweis der TAGESZEITUNG im Rückblick auf das Berliner Festival Tanz im August:
"Wo das alte Reizwort Sexualität war, ist das neue Ding Sensualität. Einerseits vielleicht als Romantik des Miteinanders in Zeiten unsteter Paarbeziehungen, andererseits aber auch als körperliche Emanzipation aus der plumpen Affektlehre eines libidogesteuerten Marktes."
Klingt das nicht lieb und kuschelig und… nun ja… schön schwanzungesteuert?
Nein, im Ernst! Wir fürchten, man wird über das "neue Ding Sensualität" mit den Worten einer SZ-Überschrift alsbald sagen müssen:
"Zu gut für diese Welt."
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