Aus den Feuilletons

Eine widerwärtige Polemik

Von Arno Orzessek · 06.03.2014
Bestimmendes Thema in den Feuilletons: Die literarische Brandstifterin Sibylle Lewitscharoff und ihre umstrittene Dresdner Rede, in der sie nicht auf "natürliche" Weise gezeugte Kinder als "Halbwesen" verunglimpft. Sie ist aber nicht die einzige "intellektuell unterkomplexe" Person, um die es heute geht.
"'Deine Widerwärtigkeitspolemik überschreitet die Grenze'",
schimpft John von Düffel in der Tageszeitung DIE WELT auf seine Schriftsteller-Kollegin Sibylle Lewitscharoff, deren umstrittene "Dresdner Rede" das Top-Thema in den Feuilletons ist.
WELT-Autor Düffel wendet den alten Trick an, eine für dämlich gehaltene Argumentation durch besonders korrektes Zitieren zu entlarven.
Und in der Tat, was soll man noch groß sagen, wenn Lewitscharoff Kinder, deren Geburt eine künstliche Befruchtung vorausging, als "Halbwesen" diskriminiert, die "nicht ganz echt" sind, sondern "zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas"?
Einiges sagt John von Düffel dann aber doch zu der Lesben-, Leihmütter-, Samenbank- und Kunstbefruchtungs-Hasserin Lewitscharoff – etwa das:
„Deine eigene Argumentation [ist] keineswegs nur überraschend fundamentalistisch-christlich, sondern vor allem auch zutiefst biologistisch. Unter Berufung auf die 'Schöpfung' und die Natur kommst du zu Werteaussagen und Zuschreibungen, die nichts anderes gelten lassen als das klassische Familienbild von Vater-Mutter-Kind.“
Laut TAGESZEITUNG ist Sibylle Lewitscharoff "von allen guten Geistern verlassen".
"Wie religiöser Fundamentalismus ins Menschenfeindliche umschlagen kann [so Dirk Knipphals], das kann man an […] [der Dresdner] Rede […] gut studieren. Aber, viel basaler, die Rede ist noch etwas: ein aggressiver, radikal unhöflicher Akt. Sibylle Lewitscharoff nutzt die Autorität, die sie als bekannte Schriftstellerin und Büchnerpreisträgerin hat, um Menschen zutiefst zu beleidigen, aufgrund ihrer Sexualität und weil sie sich legaler Mittel bedienen, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen."
Nun wollen wir hier nicht übers notwendige Maß hinaus parteiisch sein …
Und da trifft es sich gut, dass die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Sibylle Lewitscharoff persönlich zur inkriminierten Rede und namentlich zu ihrem Lob auf das biblische Onanie-Verbot befragt.
"Ich habe mich im ganzen Leben noch nie in irgendeiner Weise persönlich gegen Onanie ausgesprochen und würde sie niemandem verbieten wollen [wiegelt Lewitscharoff ab]. Aber dass manchmal bestimmte Dinge, die in der Bibel vorhergesagt sind, in dem Moment, in dem sie zu einer so katastrophalen Entwicklung führen können, plötzlich eine ganz andere Dimension bekommen, das kann man doch sagen."
"Das wird man doch sagen dürfen"
Falls Sie, liebe Hörer, den letzten Satz mit uns und mit Hubert Spiegel von der FAZ für undurchsichtig halten, hier die Auflösung:
Lewitscharoff feiert das biblische Onanieverbot im Blick auf neuzeitliche Samenspender, die mit Heftchen in der Kabine verschwinden. Dieser Akt ist für sie die „Katastrophe“.
Und dass Kinder, die nicht durch gottgefälligen Beischlaf gezeugt wurden, bloß "Halbwesen" sein sollen? Lewitscharoff bekennt in der FAZ:
"Ja, der Gedanke durchfährt mich, fast wie ein Blitz, das wird man doch sagen dürfen. […] Man wird doch einmal einen schwarzen Gedanken äußern dürfen, oder nicht? Wie oft sagt einer ‚Ich bringe meinen Nachbarn um‘ und tut es nicht."
So weit Sibylle Lewitscharoff – nach unserer Meinung im Moment eine engagierte Brandstifterin, die zugleich auch kleinere Löschaufgaben erledigt.
Und sonst so?
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG äußert sich der russische Schriftsteller Michail Schischkin über „Russlands ukrainische Zukunft“ und konstatiert:
„Die Agonie des [russischen] Regimes, die vor unseren Augen Wirklichkeit wird, spielt sich ab als endlos glühender Grenzkonflikt. Der undeklarierte Krieg mit der Ukraine gibt ihm den Vorwand, die unabhängige Zivilgesellschaft in Russland endgültig zu unterdrücken und eine unerbittliche Polizeiordnung zu etablieren.“
Indessen prophezeit Schischkin in der NZZ: „Eine Diktatur stirbt, wenn sie beginnt, ihre eigenen Lügen zu glauben.“
Nun, so weit ist noch nicht …
Wir enden für heute mit dem Stoßgebet, das der TAZ über die Lippen kommt angesichts dessen, dass „Kölns intellektuell unterkomplexer Erzbischof Kardinal Meisner am Sonntag endlich seinen Abschied“ feiert.
Das Stoßgebet der TAZ lautet: "Amen."