Aus den Feuilletons

"Eine Religion der Beliebigkeit"

Unterstützer der Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) mit Fahne.
Warum der IS so viel Zulauf hat, darüber denkt Julia Ley in der TAZ nach. © AFP / TAUSEEF MUSTAFA
Von Adelheid Wedel · 19.09.2014
Es gibt über zehn anerkannte Lesarten des Koran. Wer will, kann sich daraus seinen eigenen Islam basteln, schreibt die Publizistin Necla Kelek in der NZZ. Zwar schließe der Koran eine Friedensbotschaft ein, doch auch radikale Gruppen wie der IS können ihre Taten mit ihm begründen. Sie fordert deshalb, dass diejenigen, die diese Offenheit missbrauchen, von Muslimen deutlich geächtet werden. Und auch die TAZ beschäftigt sich mit der Brutalität des IS.
"Der Islamische Staat IS hat mich gepackt. Die Brutalität, die Abgebrühtheit, das Morden, die Gleichzeitigkeit von vermeintlichem Mittelalter und modernem You-Tube-Pop, das alles ist auf schreckliche Weise faszinierend",schreibt Julia Ley in der Tageszeitung TAZ. "Ich will das Grauen verstehen", fügt sie hinzu. Die 26-Jährige belegte in London und Oxford Nahoststudien. Nun sieht sie ihre Bemühungen in Gefahr. "Seit Jahren stelle ich mich gegen antimuslimische Vorurteile, versuche zu erklären, warum vieles im Nahen Osten so ganz anders ist als man es aus dem Fernsehen kennt, und dass die allermeisten Muslime" mit den Gewaltakten des IS "nichts zu tun haben, sondern darin eine Perversion ihrer Religion sehen. Und nun kommt die IS, eine radikalislamistische Organisation."
Erkennbar wird, der IS instrumentalisiert politische Unterschiede, er bringt Sunniten gegen Schiiten auf und alle gegen Christen, Jesiden und andere Minderheiten. Julia Ley sucht nach Erklärungen für dieses Phänomen und warnt: "Die gängige Zuschreibung, die 30 000 jungen Männer, die bisher der IS beigetreten sind, seien allesamt einfach nur wahnsinnig oder verrückt, geht nicht auf. Wenn man verhindern will, dass die Ideologie weiterbesteht, müssen wir verstehen, was diese Männer und einige Frauen antreibt."Ley gibt zu bedenken: "Wer seit drei Jahren von ausufernder Gewalt umgeben ist wie in Syrien, für den mag schon der Erfolg des IS anziehend sein. Wenn man von keiner Seite Gerechtigkeit erwarten kann, dann ist man vielleicht lieber mit den Starken als gegen sie."
Mehr Verantwortung der Muslime für ihre Religion
Dagegen plädiert die Sozialwissenschaftlerin und Publizistin Necla Kelek in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG für mehr Verantwortung der Muslime für ihre Religion. Ihrer Meinung nach schließt der Koran eine Friedensbotschaft ein. Aber "es gibt über zehn anerkannte Lesarten des Korans, das heißt Arten, wie der arabische Text vokalisiert wird. Es gibt aber weit mehr Arten, wie er verstanden werden kann."Sie geht so weit zu sagen: "Tatsächlich ist der Islam aufgrund seiner Geschichte eine Religion der Beliebigkeit." Wer will, kann sich aus diesem Textbaukasten seinen Islam und seine Legitimation basteln. "Von dieser Möglichkeit machen die Muslime weltweit reichlich Gebrauch,"erklärt Kelek. Und so gibt es eine Vielzahl von Sekten, Rechtsschulen, Predigern, die allesamt von der Richtigkeit ihrer Interpretation überzeugt sind. "Sich zu einer Religion zu bekennen und Verantwortung für das zu übernehmen, was im Namen dieser Religion geschieht," verlange auch, so Kelek, "diejenigen zu ächten, die den Namen des Islam missbrauchen."
Die Feuilletons vom Wochenende ehren zwei große Künstler zum 80. Geburtstag: die Schauspielerin Sophia Loren und den Songwriter Leonhard Cohen. Ihn nennt Kurt Kister in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG "einen weisen Rebellen" mit den "unglückswarmen Songs". Cohen hat 1954 seine ersten Gedichte herausgebracht, seine erste Platte 1967, seitdem veröffentlichte er 13 Studioalben, etliche Lyrikbände, Romane, Erzählungen. Kister in der SZ: "Nun gibt es ein gelungenes neues Studioalbum, das daran erinnert, dass Cohen einer jener wenigen Musiker ist, ohne die bis heute die relevante populäre Musik nicht denkbar wäre. Cohen ist ein Lebensgefühlprediger geworden und geblieben."
Die Tageszeitung DIE WELT nennt Sophia Loren "die Ungezähmte". Barbara Möller ergänzt dieses Lob mit Beschreibungen wie: "Die Loren war etwas für emanzipierte Männer. Neben ihr wirkte Marilyn Monroe wie ein Dummchen. Die Loren war ein erotischer Vulkan, lasziv und temperamentvoll zugleich."Bis heute hat sie mehr als hundert Filme gedreht – an diesem Samstag wird sie unvorstellbare 80 Jahre alt. Gefeiert wird mit tutta la famiglia in Mexiko Stadt mit einer großen Ausstellung und einer Retrospektive. Sohn Carlo, Chefdirigent des kalifornischen San Bernardino Symphonieorchesters, wird la mama mit einem Konzert erfreuen.
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