Aus den Feuilletons

Ein Requiem für den englischen Adel

Gerald Grosvenor, der sechste Herzog von Westminster (1951 - 2016) war einer der reichsten Männer Großbritanniens.
Gerald Grosvenor, der sechste Herzog von Westminster (1951 - 2016) war einer der reichsten Männer Großbritanniens. © imago /i Images
Von Hans von Trotha · 15.08.2016
Ist Englands Aristokratie am Ende? Darüber macht sich die "FAZ" Gedanken, weil Gerald Grosvenor gestorben ist. Der sechste Herzog von Westminster war immerhin der drittreichste Mann des Landes – und habe exemplarisch das verpönte Privileg der Hochgeborenen verkörpert.
Von wegen Sommerloch. Man soll bloß nicht meinen, es passiere nichts, bloß weil wir die Feuilletons ein paar Wochen lang nicht lesen. Das wissen die Redaktionen auch. Und räumen Plätze frei fürs Grundsätzliche. Da kommen schnell Gesellschaften, Weltbilder, ja ganze Galaxien ins Wanken.
Die FAZ schlägt auf mit der Meldung:
"England debattiert über das Ende der Aristokratie".
Das setzt anscheinend ein mit dem Ende des sechsten Herzogs von Westminister, der gerade gestorben ist:
"Gerald Grosvenor", berichtet Gina Thomas, "war der drittreichste Mann des Landes. Somit verkörpert er in der Neiddebatte das Unrecht des unverdienten Reichtums und des ebenso verpönten Privilegs der Hochgeborenen. ... Demnach wirkt dieser Tod wie eine Zäsur, die Anlass gibt zu Reflektionen über das Wesen der britischen Gesellschaft."
Über seinen Sohn hatte ebenjener Herzog gesagt,
"dieser sei mit dem allerlängsten silbernen Löffel zur Welt gekommen. Doch könne er nicht ewig daran lutschen."
Brian Appleyard, Kolumnist der "Sunday Times" sieht im Tod des Herzogs nun das
"Requiem für die ganze Aristokratie und die politische Ordnung des achtzehnten Jahrhunderts, die Britannien stabilisiert und die Grundlage für seine flüchtige Größe gelegt haben. Wo, so fragt er, sind in der im trüben Gruppendenken des Zeitgeistes verfallenen Gegenwart die unabhängigen Köpfe zu finden, welche die Last der 'noblesse oblige' auf sich nehmen?"

Die digitale Aristokratie des Silicon Valley

Na, im Silicon Valley, würde man doch vermuten. Aber eben da gerade nicht. Während die FAZ den sich manifestierenden Untergang als Niedergang von Standesstrukturen seziert, schleicht sich die SÜDDEUTSCHE unternehmenskritisch an die Sache heran. Andrian Kreye hat den Medientheoretiker Douglas Rushkoff im Gespräch. Der, so Kreye,
"glaubte einst, mit der Vernetzung werde die Macht von Monopolisten gebrochen. Im Interview berichtet er nun von den weinenden CEOs des Silicon Valley. Rushkoffs jüngstes Buch",
so Kreye,
"trägt den Titel 'Throwing Rocks At The Google Bus'. Er bezieht sich auf die zornigen Bewohner von San Francisco, die vor zwei Jahren jene Firmenbusse von Google angriffen, mit denen die Angestellten ins 40 Meilen entfernte Silicon Valley gebracht werden. Die Tech-Arbeiter gelten als Hauptgrund für die Mietpreisexplosion. Die Google-Busse sind für den 55-jährigen Medientheoretiker außerdem Symbole für ein Wachstumsmodell, das keinen allgemeinen Wohlstand, sondern lediglich einige wenige Milliardäre hervorbringt. Rushkoff vergleicht die Mächtigen der digitalen Ökonomie mit Monarchen und Adeligen des Mittelalters, die gegen den neuen Wohlstand der Handwerkerzünfte Monopole verfügten."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Ein Mann auf einem Fahrrad auf dem Google Campus im Silicon Valley.© picture alliance / dpa / Ole Spata

Videospiel-Gott mit Rauschebart

Womit wir wieder bei den englischen Herzögen wären, denen die silbernen Löffel entrissen werden sollen, an denen sie noch lutschen. Das ist aber auch schon egal, wenn in eben jenem Silicon Valley heulende CEOs eine noch verderbtere Form des Kapitalismus mit der Entwicklung von Welten vorantreiben, die uns noch die letzten Sicherheiten entziehen sollen. Michael Moorstedt versucht uns in derselben SÜDDEUTSCHEN zunächst noch mit der Feststellung zu beruhigen:
"Es gibt einen Gott."
Doch schon die Bemerkung:
"Selbstverständlich trägt er einen Rauschebart" macht stutzig, vollends der Zusatz: "und grob gemusterte Karohemden, er ist", heißt es weiter,
"mächtig stolz auf seine Kreation. Sein Name ist Sean. Er ist der Schöpfer von über 18 Trillionen Planeten. Sean Murray ist Chef des britischen Videospiel-Entwicklungsstudios Hello Games, seine Schöpfung heißt 'No Man's Sky' und ist mit Sicherheit der am meisten erwartete Videospiel-Titel der vergangenen Jahre. Größer, gewaltiger, unvorstellbarer war noch kein Spiel zuvor."
Ein Quantensprung, der auch darin zum Ausdruck kommt, dass das Wort "unvorstellbar" bislang als nicht steigerbar gegolten hat. Aber das ist Feuilletonpipifax angesichts des Unvorstellbarsten, und das sieht laut Michael Moorstedt so aus:
"Im Silicon Valley kursiert seit einiger Zeit ein Gedankenkonstrukt, das viel zu abgefahren ist, als dass man es Theorie nennen könnte. Im Prinzip besagt es, dass unsere Welt überhaupt nicht real ist. Sondern nur Teil einer Computersimulation einer unvorstellbar weit entwickelten Zivilisation."
Und schon droht unsere schöne heile Sommerwelt, zusammen mit britischen Herzögen und heulender kalifornischen CEOs im schwärzesten aller Feuilleton-Sommerlöcher zu verschwinden. Wie gut, dass der Kulturbetrieb bald wieder seine Arbeit aufnimmt. Dann ist für die ganz großen schwarzen Löcher nicht mehr so viel Platz im Feuilleton.
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