Aus den Feuilletons

Ein Leben in Angst

Diese Aufnahme aus den 80er-Jahren zeigt den Eingang zum Gelände der Sekte Colonia Dignidad in Chile
Diese Aufnahme aus den 80er-Jahren zeigt den Eingang zum Gelände der Sekte Colonia Dignidad in Chile © dpa / picture alliance
Von Arno Orzessek · 20.05.2016
"Warum hat uns Kinder da keiner rausgeholt?" Das will Anna Schnellenkamp wissen. Die in der "Berliner Zeitung" von ihrem Leben in der Colonia Dignidad erzählt, der von Auslandsdeutschen geführten Sekten-Siedlung in Chile. Das Interview greift weit ins Politische aus.
"Man muss es versucht haben: Bier gegen Fieber", behauptet die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG ...
In der Michael Lentz von einer aparten Situation berichtet. Eine nicht näher vorgestellte "sie" hatte ihm in Indien während einer Fieber-Attacke geraten, sich mit ordentlich Stoff zu bevorraten und am hohen Mittag ins Zelt einzuschließen.

Rausch am Ganges

Und Lentz tat's. Hier sein Ergebnisprotokoll:
"Sieben Flaschen Bier im verschlossenen Zelt, im Pullover bei knapp vierzig Grad Fieber und etwa 42 Grad Außentemperatur sind eine spirituelle Erfahrung, die das Leben grundsätzlich verändert und Gott auf den Plan ruft. Und Gott sagte: Das Fieber ist Geschichte, zieht den Pullover aus, öffne das Zelt und geh schwimmen. Und ich erhob mich, zog den Pullover aus, öffnete das Zelt und ging im Ganges schwimmen. Da sah ich ein Tier ins Wasser steigen, das hatte zwei Häupter und zwei Sonnen um die Häupter und elf schwarze Flammen auf der Burst und über seinen Flammen drei Kronen."
So der Geisterseher Lentz im Fachblatt für groben Unfug, FAZ.
Während Lentz im Ganges seinen Rausch ausbadet, lädt uns die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG ein, das "Örtchen der Wahrheit" zu besuchen.
Peter Richter schreitet die Fronten im US-amerikanischen "'Bathroom'"-Krieg ab und erklärt "die erstaunliche Wandlung der Toilette zum ideologischen Schlachtfeld".
Hintergrund ist die Transgender-Debatte, die sich Richter zufolge in der Frage verdichtet, welches Klo jungen Transgendern angemessen sei.
"Die Türen amerikanischer Schultoiletten teilen die Welt nicht nur in männlich und weiblich, sondern auch in Sex und Gender, in Konservative und Liberale, in Leute, die überzeugt sind, dass die Geschlechter naturgegeben sind, und in Leute, die sie für eine soziale Konvention halten, in solche, die den Common Sense wertschätzen und solche, denen prinzipiell am Überwinden allgemeiner Üblichkeiten liegt."
Da Richter auch in puncto Toiletten-Historie auf dem Quivive ist, kann er verkünden:
"Seit Luther vor 500 Jahren 'in cloaca' aufgegangen war, dass nicht aktive Taten, sondern nur göttliche Gnade zur Erlösung führe[ ... ], ist in der westlichen Welt von diesem Ort kein so grundlegendes Schisma mehr ausgegangen." –

"Ich habe mich nicht getraut, aufrecht zu gehen"

"Warum hat uns Kinder da keiner rausgeholt?" Das will Anna Schnellenkamp wissen ...
Die in der BERLINER ZEITUNG von ihrem Leben in der Colonia Dignidad erzählt, der von Auslandsdeutschen geführten Sekten-Siedlung in Chile.
"Es war ein Leben in Angst und ohne persönlichen Raum. Ich habe mich nicht getraut, aufrecht zu gehen, weil man dann zusammengeschrien wurde als eitle Gans. [ ... ] Die Zahnpasta wurde zugeteilt, Zopfhaltergummi wurde vom Fahrradschlauch abgeschnitten [ ... ]. Geburtstage wurden nicht gefeiert. Es gab nichts Privates. Nicht mal einen eigenen Kamm ... ."
Das doppelseitige Interview, das die BERLINER ZEITUNG mit Schnellenkamp führt, greift weit ins Politische aus – bis hin zu Entschädigungsforderungen an den deutschen Staat.
Wir empfehlen auch denjenigen die Lektüre, die schon viel über die Colonia Dignidad wissen.
Toiletten-Geschichte hatten wir gerade – nun zur Sprachgeschichte, einer Spezialität von Matthias Heine.

Sprachgeschichte als Spezialität

In der Tageszeitung DIE WELT stellt Heine im Rückgriff auf eine Publikation Georg Objartels Wörter vor, die aus der Studentensprache stammen.
"Als Goethe seinen 'Erlkönig' schrieb, konnten Kümmeltürken noch aus Schkopau, Schkeuditz oder Zwochau stammen und Biodeutsche sein, in deren Blutlinie sich ganz gewiss ein paar Slawen, aber gewiss keine Türken gemischt haben. Mit dem Jugendwort des Jahres 1781 bezeichneten Studenten der Universität Halle nämlich Kommilitonen, die aus der näheren Umgebung [ ... ] stammten und denen ihre Mütter regelmäßig Essen brachten, wenn sie nicht gar noch zu Hause wohnten. In der Gegend um Halle wurde damals tatsächlich Kümmel angebaut. Außerdem war Kümmel ein Studentenwort für 'Lebensmittel'."
Soviel zum Kümmeltürken. -
Was immer Sie am Wochenende vorhaben liebe Hörer – die richtige Maxime liefert eine Überschrift in der TAGESZEITUNG. Sie lautet:
"Alles ist möglich."
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