Aus den Feuilletons

Ein harmonischer Nachrufchor in Moll

Der Regisseur Wes Craven steht vor einem Filmplakat zu "Red Eye"
Die Feuilletons zollen Regisseur Wes Craven (1939 - 2015) einhellig Respekt. © picture alliance /dpa /PA Parsons
Von Maximilian Steinbeis · 31.08.2015
In großer Dankbarkeit würdigt die Filmkritik den verstorbenen Schöpfer von Freddy Krueger. Zum Tod des US-Regisseurs Wes Craven zieht die "SZ" den Hut vor einem "der intelligentesten Filmemacher seiner Generation". "Große Kunst" fasst die "taz" dessen filmisches Schaffen zusammen.
"Die Angst davor, dass der Tod im Traum ein wirklicher Tod ist."
Das, so Alexandra Belopolsky im TAGESSPIEGEL, ist die Angst, die Wes Cravens "Nightmare on Elm Street"seit drei Jahrzehnten in uns weckt beziehungsweise wach hält, hellwach, denn wie lautet der Werbespruch auf dem Filmplakat mit Freddy Kruegers narbigem Grinsegesicht drauf so schön?
"Was immer du tust, schlaf nicht ein!"
Was immer es ist, was da auf einen wartet, wenn man die Augen schließt und in die dunkle Welt des Schlafs hinübergleitet – die Filmkritik ist von großer und einhelliger Dankbarkeit erfüllt, in ihrer Jugend von Freddy Krueger auf solch blutrünstige Weise wach gehalten worden zu sein, und so erklingt der Nachrufchor auf seinen Schöpfer in ungetrübt harmonischem Moll: "Große Kunst", schreibt Thomas Groh in der TAZ, David Steinitz in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zieht den Hut vor einem "der intelligentesten Filmemacher seiner Generation", und Hans-Georg Rodek in der WELT verabschiedet sich von Wes Craven mit diesen Worten:
"Nun hat der Mann, der den Schlaf ermordete, 76-jährig den längsten Schlaf angetreten."
Lessings harmoniesüchtige Wunschfantasie
Von Alpdruck, Horror und Dunkelheit kann bei Lessing keine Rede sein. Hell strahlt das Licht seiner Aufklärung, und vielleicht verbreitet gerade deshalb sein Klassiker "Nathan der Weise" im Feuilleton doch erst mal eher Schläfrigkeit: "Kaum mehr als eine Satire" sei die jüdisch-muslimisch-christliche Duldsamkeitsparabel, so Dirk Pilz in der BERLINER ZEITUNG, "eindeutig realitätsfremd" sei die von ihr gepredigte interreligiöse Toleranz, schreibt Irene Bazinger in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, und in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG wütet Peter Laudenbach gegen die Deutung des Stücks als
"harmonieselige Wunschfantasie. Lessing scheint, zumindest an der Handlungsoberfläche des Stücks, Religionsfrieden für eine Frage des guten Willens und der menschenfreundlichen Vernunft zu halten".
Wie dies mit der gnadenlosen Realität des Nahen Ostens zusammengeht, diese Frage hat auch die Berliner Neuinszenierung von Andreas Kriegenburg zu beantworten, doch dessen Antwort stößt bei der Kritik auf ein diametral entgegengesetztes Echo: SZ-Autor Laudenbach wähnt sich durch Kriegenburgs "Konditor"-Theater in ein "diffuses Nirgendwo" versetzt
"Wohlmeinend könnte man sagen, Kriegenburgs Regie führe vor, dass er gerne an Lessings Versöhnungsmärchen glauben wolle, dass dies aber nur um den Preis einer penetranten Naivität: dieses infantilen Ausblendens einer komplizierteren Wirklichkeit möglich sei."
Der FAZ-Rezensentin Bazinger dagegen hat gerade der unpolitische Unernst dieser Inszenierung besonders gut gefallen:
"So offen endet Andreas Kriegenburgs komische wie spannende, gescheite wie klare Inszenierung, die souverän mit dem Vokabular der Commedia dell’Arte zu jonglieren weiß und dabei mit witziger Schwermut Lessings Worte hören lässt – ohne zu verbergen, dass es mit dem Glauben daran nicht zum Besten steht."
Roman über ein Gedankenexperiment
Zu guter Letzt verabschieden wir uns mit einem Beitrag der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG, genauer deren Rezension des Buchs "Der Tod und das Leben danach" des Philosophen Samuel Scheffler entnommenen Gedankenexperiment: Stellen Sie sich vor, so fordern uns Scheffler und sein Rezensent Uwe Justus Wenzel auf,
"sie wüssten, dass dreißig Tage nach ihrem Tod (…) die Erde 'durch eine Kollision mit einem riesigen Asteroiden vollständig zerstört' werde. (…) Würden sie weiterhin wie gewohnt tun, denken und fühlen, was sie bisher taten, dachten und fühlten?"
Wenn nein – die meisten sagen offenbar nein – dann
"deshalb, weil wir darauf angewiesen sind, dass das Leben nach unserem Tod ohne uns weitergeht. Dies kollektive Weiterleben der Menschheit ist das 'Leben nach dem Tod', von dem das Buch handelt und das Scheffler gewissermaßen zur notwendigen Bedingung der Möglichkeit eines – sinnhaften und guten – Lebens vor dem Tode erhebt."
Wozu immer dieses Gedankenexperiment sonst noch taugt – Freddy Krueger dürfte es jedenfalls zuverlässig auf Abstand halten. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen allen einen ruhigen Schlaf.
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