Aus den Feuilletons

"Ein echter Künstler dekonstruiert den Markt"

"Kapitalismus" steht auf einer Wand an einem besetzten Haus in einer Straße in Berlin im Stadtteil Prenzlauer Berg
"Kapitalismus" steht auf einer Wand an einem besetzten Haus in einer Straße in Berlin im Stadtteil Prenzlauer Berg © picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Von Adelheid Wedel · 01.08.2014
Mit der "TAZ" spricht die Autorin Hélène Cixous über die Verbindung von Kunst und Politik - und kommt zu dem Schluss: "Heute geht Kunst mit dem Geld." Wenig schmeichelhaft schreibt die Zeitung über den Leiter des jüdischen Theaters in New York, Tuvia Tenenbom.
"Ein Text ist voller Geheimnisse", diese Überzeugung unterstreicht die französische Schriftstellerin Hélène Cixous in einem Interview mit der Tageszeitung TAZ. "Lesen ist eine Kunst, der Zwilling des Schreibens", sagt sie.
Die 1937 in Oran geborene Cixous, die Grande Dame des Poststrukturalismus, hat sich in Berlin die Ausstellung "Topographie des Terrors" angeschaut. "Wir sind an dem Unerwartbaren interessiert", meint sie und: "Das macht unsere ganze Stärke aus. Als ich in Berlin die Ausstellung besuchte, kannte ich alles, was ich sah. Alles dort gehört zu meiner Geschichte, dort ist sogar ein Foto von dem Zug, der meine eigene Familie in Osnabrück deportiert hat. Aber in all dem Altbekannten gab es immer diesen kleinen Rest des Unbekannten."
Angesprochen auf die Verbindung von Kunst und Politik, erklärt sie: "Kunst als politische Botschaft ist keine Kunst. Aber Kunst kann politische Konsequenzen haben... Heute geht Kunst mit dem Geld." Cixous gibt den Rat: "Ein echter Künstler dekonstruiert den Markt. Er oder sie muss echten Zorn in sich tragen."
"Tenenbom ist offen, distanzlos und kann einen nerven"
Ebenfalls die TAZ stellt den Leiter des jüdischen Theaters in New York, Tuvia Tenenbom, vor. Susanne Knaul beginnt ihr Porträt wenig schmeichelhaft: "Tenebom ist keine graue Maus. Der schwergewichtige, faltenlose, rotblonde Amerikaner redet unentwegt. Er ist offen, distanzlos und kann einen nerven."
Jetzt ist der 56-Jährige, dessen Vorfahren aus Israel stammen, "auf den Golan gereist, um für sein neues Buch zu recherchieren. 'Allein unter Juden' soll es heißen." Im neuen Buch – so viel kann Susanne Knaul schon verraten – "wettert Tenenbom gegen das Rote Kreuz, noch lauter gegen die EU, die Millionen Euros in die NGOs steckt. Er flucht und lärmt."
Von sich selbst sagt er: "Ich bin weder Provokateur noch Aktivist. Ich beobachte und schreibe auf, was ich sehe. Für die Palästinenser empfindet er Zuneigung und vor den Siedlern Respekt."
Die Araber mag er mehr als die Juden, sagt er, denn sie seien gastfreundlich und stolz, keine Selbsthasser wie die Israelis.
"Toleranz ist ein schwieriges Gewerbe"
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG druckt den Auszug einer Rede zur Toleranz, die der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy bei der Eröffnung des Pride-Festivals in Budapest gehalten hat. "Es ist nämlich so", führt er aus, "dass wir Menschen frei geboren wurden, mit der gleichen Würde, den gleichen Rechten, dem gleichen Verstand und Gewissen, daher brüderlich einander gegenüber. Theoretisch" – fügt er dem Satz zu und setzt fort: "Toleranz aber bewährt sich dort, wo man mit dem Fremdartigen selber konfrontiert ist – sie ist daher ein schwieriges Gewerbe."
Und er philosophiert weiter: "Leicht ist alles, solange der andere für mich angenehm ist oder höchstens gleichgültig, er ist ein anderer, aber ähnlich. Schwierig wird es erst, wenn er ein anderer ist, aber anders. Toleranz wirkt nicht von oben nach unten, sie funktioniert ausschließlich zwischen Ebenbürtigen."
Soviel zu Esterhazys Überlegungen zur Toleranz, von der Sie noch mehr in der NZZ finden.
Freundlicher und aggressiver
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schreibt Sarah Stricker ihr Tagebuch aus Israel fort. In der jetzt erscheinenden dritten Folge unter der Überschrift "Was der Krieg alles macht" berichtet sie über eine Friedensdemo, Picknick im Park und eine spontane Spendenaktion für die Soldaten in einem Einkaufszentrum, bei der selbstgebackene Kekse, Kaffee, Insektenspray, Handyladegeräte und Unterwäsche gesammelt wird.
"Der Krieg macht die Menschen freundlicher", fasst die Autorin ihre Beobachtungen zusammen. Sie zitiert ein Mädchen, das um Papier und Stift bittet, denn sie will einen Brief schreiben. "Ihr seid die Größten, malt sie in großen Buchstaben quer über die Seite. Haltet durch, wir denken an euch."
Nach einer erregten Auseinandersetzung auf der Straße mit einem Israeli, schreibt sie nachdenklicher auf: "Der Krieg macht die Menschen aggressiver."