Aus den Feuilletons

"Du bist kein Sitzer – und jetzt sitzt du"

In Berlin gab es einen Autokorso, mit dem gegen die Festnahme des Journalisten Deniz Yücel in der Türkei protestiert wurde.
In Berlin gab es einen Autokorso, mit dem gegen die Festnahme des Journalisten Deniz Yücel in der Türkei protestiert wurde. © imago / Christian Mang
Von Tobias Wenzel · 21.02.2017
Der Türkei-Korrespondent der "Welt", Deniz Yücel, sitzt seit einer Woche in Haft in Istanbul. Seine ehemaligen Taz-Kollegen solidarisieren sich mit ihm in offenen Briefen in der "tageszeitung".
Stricken Sie eigentlich gerne, liebe Hörer? Und sind Sie tierlieb? Dann könnten Ihnen die Feuilletons vom Mittwoch gefallen.
"Ich schaue den Giraffen und Elefanten zu und helfe meinem kleinen Sohn, Lamas und Ziegen zu füttern, und freue mich an seinem Gesichtsausdruck, wenn die raue Zunge des Tieres über seinen kleinen Handrücken streift", berichtet Hannes Stein in der WELT von einem Zoobesuch in New York. In einem Artikel über:
"Urlaub von Trump – im Kopf".
Die vielen dreisten Lügen Trumps sind einfach zu viel für Stein:
"Wenn man diesem Mann lange genug zuschaut, wird man wahnsinnig. Trump ist ein Dämon; er saugt einem das Gehirn aus dem Schädel."
Und da Stein offensichtlich sein Gehirn wichtig ist, übt er sich in Eskapismus, liest Tolstoi und geht mit seiner Familie in den Zoo. Stein zitiert George Orwell, den Essay über die gemeine Erdkröte:
"Wie oft bin ich stehen geblieben und habe Kröten beim Balzen zugesehen und an all die wichtigen Leute gedacht, die mich davon abhalten würden, mich dessen zu erfreuen, wenn sie nur könnten. Aber zum Glück können sie es nicht. So lange du nicht wirklich krank oder hungrig, verängstigt oder eingepfercht in Gefängnismauern oder einem Ferienlager bist, ist der Frühling immer noch der Frühling."

Solidarität mit Deniz Yücel

Für den Türkei-Korrespondenten der WELT, Deniz Yücel, gibt es gerade keinen Frühling mehr. Er befindet sich seit einer Woche in Polizeigewahrsam in Istanbul. Die Behörden werfen ihm unter anderem "Terrorpropaganda" vor, nachdem Yücel, wie viele andere auch, über von Wikileaks veröffentlichte E-Mails berichtet hat, die vom Energieminister Berat Albayrak stammen sollen.
Albayrak ist Erdogans Schwiegersohn. Mitarbeiter der TAGESZEITUNG, für die Yücel als Redakteur gearbeitet hat, solidarisieren sich unter einem großen Foto Yücels mit ihm in offenen Briefen:
"Mein lieber Deniz, wie das ist, eingesperrt zu sein, mag ich mir nicht vorstellen. Bei dir erst recht nicht", schreibt Georg Löwisch.
"Aus unserer taz-Zeit habe ich im Kopf praktisch kein Bild eines verharrenden Deniz. Du sammelst Ideen zwischen Tischen und Stockwerken. Gehst eine rauchen, kommst zurück. Hackst Sätze in die Tastatur. Springst wieder auf. Wirfst im Vorbeigehen einer Kollegin eine These hin. Du bist kein Sitzer – und jetzt sitzt du." Und Canset Icpinar erinnert sich:
"Deniz, als ich zur taz kam, warst du einer der ersten Redakteure, dem ich als Prakti für eine Recherche zugeteilt wurde, bei diesem Deutschlanddings. Du hast eine Augenbraue verzogen und gefragt: 'Bist du Türke oder was?' Super, dachte ich, die finden das witzig, die Kanakin muss zum Elite-Türken (sorry, ich dachte, du seist so ein Istanbulfutzi). Natürlich ist dir dein Ruf als Krawallschachtel vorausgeeilt. Du fehlst hier sehr."

Marika Rökk als KGB-Spionin?

Anna Fastabend klopft in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG das Stricken auf sein konspiratives Potenzial ab. In einer nun aufgetauchten Akte vom Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes heißt es, die Schauspielerin Marika Rökk habe während des Kriegs und danach für den russischen KGB spioniert. Die Ankündigung der Schauspielerin im Jahr 1951, ihren Beruf aufzugeben und "stattdessen ein Strickmodengeschäft in Düsseldorf aufzumachen", habe Verdacht erregt.
"Doch wie hätte sich dies mit ihrer angeblichen Spionagetätigkeit vertragen?", fragt Fastabend und gibt gleich die Antwort:
"Auf den ersten Blick sicherlich gut. Schließlich hat eine Boutiqueninhaberin viel weniger zu tun als eine auf allen Parketts dieser Welt umtriebige Schauspielerin und damit mehr Zeit zum Spitzeln."
Allerdings wäre Marika Rökk als Strickwarenverkäuferin dann doch zu weit von den Entscheidungsträgern entfernt gewesen. Fazit der SZ-Autorin:
"Dass ein kleines Modegeschäft in Düsseldorf fast zur Keimzelle des KGB geworden wäre, ist demnach nur schwer vorstellbar."
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