Die Weisheit der Dichtung

Die "Stummbürger" von Dresden

Pegida-Demonstranten in Dresden halten am 15. Dezember 2014 Banner hoch.
Pegida-Demonstranten in Dresden halten am 15. Dezember 2014 Banner hoch. © imago/epd
Von Adelheid Wedel · 21.12.2014
Die Presseschau blickt heute unter anderem auf Matthias Matussek. "Was geht im Abendland?", fragt er sich, machte sich für die "Welt" auf zu den Pegida-Demonstrationen nach Weimar und Dresden - und suchte Hilfe bei Goethe und Schiller.
"Was geht im Abendland?", fragt Matthias Matussek in der Tageszeitung DIE WELT. Er machte sich in diesen Vorweihnachtstagen auf nach Dresden und Weimar, um die These "Im Osten herrscht Chaos" zu überprüfen. Er erhoffte sich Hilfe durch einen Besuch bei den Klassikern. Und so prangen auf Seite 25 der Montagsausgabe Goethe und Schiller auf ihrem Sockel vor dem Theater, in unerschütterlicher Freundschaft, wie sie der Bildhauer Ernst Rietschel sah. Neu dabei: Goethe hält eine Fahne in der Hand, "Pro Pegida" ist da zu lesen. Schiller zieht ein Papier mit der Aufschrift "Die Linke" aus seiner Tasche. Zunächst schildert der Autor seine Begegnung mit "Wutbürgern" in Dresden, die jetzt in ihrer Wortlosigkeit zu "Stummbürgern" mutierten.
Matussek streut ein: "Nach neuesten Umfragen sympathisieren rund die Hälfte der Deutschen in Ost und West mit Pegida. Wie gehen Morgenland und Abendland zusammen? Die überwiegende Mehrheit der Deutschen glaubt: gar nicht. Dass der Islam zu Deutschland gehört" – so erinnert der Autor – "fand eigentlich nur Kurzpräsident Wulff", und wählte Goethe als Kronzeugen. Der hatte im "West-östlichen Divan" verkündet:

Wer sich selbst und andre kennt,
wird auch hier erkennen,
Orient und Okzident
sind nicht mehr zu trennen.
Also auf nach Weimar, sagte sich Matussek, "auf zu Goethe, dem Weltbürger und Ausnahme-Deutschen." Er fragt sich, wie würde Goethe, der den Begriff Weltkultur erfand, hier intervenieren? Denn, so Matussek: "Im Moment sind Orient und Okzident erheblich auseinander." Der Autor holt sich Auskunft beim Chef der Goethe-Gesellschaft Jochen Golz, der ins Allgemeine ausweicht. "Natürlich, sagt er, hätte Goethe jede Gewalt verurteilt. Zudem war er ganz prinzipiell gegen Unordnung, im Privaten und im Öffentlichen. Goethe mochte die Religion als Leidenschaft nicht, brennende Gläubigkeit war ihm suspekt. Kürzlich," so gibt Golz Auskunft, "sei Navid Kermani hier gewesen und habe über die Ähnlichkeit der muslimischen und der christlichen Mystik gesprochen. Beeindruckend."
"Sie sind die Helden – über Weihnachten hinaus und auch über das Jahr." Mit diesem Satz endet Sandra Kegel ihren Artikel in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, in dem sie von Rainer Merkel und seiner Reise nach Liberia berichtet, in "das Ebola-Land, das mit zehntausend Opfern wie kein zweites von der Seuche heimgesucht wurde." Der Schriftsteller und Diplom-Psychologe hat 2008 und 2009 ein Jahr lang in Liberia gelebt; sein jetzt erschienenes Buch ist "ein ergreifender Bericht über die Reise in ein Land im Ausnahmezustand", schreibt Sandra Kegel. "Merkel meinte, etwas tun zu müssen, jemand musste hinfahren und etwas über das Land schreiben, und zwar einen Text, in dem keine Schutzanzüge vorkommen, in dem nicht immer vom Tod die Rede ist." Der S. Fischer Verlag tat gut daran, Merkels mitreißende Reportage nur wenige Wochen nach seiner Rückkehr digital zu publizieren, lobt die Autorin. All die Helfer, Ärzte, Epidemiologen, Krankenschwestern und Tropenmediziner, sind Helden unserer Zeit, nicht nur für Rainer Merkel, der ihnen mit seinem E-Book "Go Ebola go" ein Denkmal setzt.
Die Suche nach Verständigung, nach Frieden lässt sich getrost als Weihnachtsbotschaft verstehen. Weihnachten findet natürlich in den Feuilletons vom Montag statt. Die Tageszeitung TAZ präsentiert "kundige Ideenprofis aus ihrer Kulturredaktion", die an Unentschlossene gern noch ein paar prima Geschenkideen weitergeben. Und wie ist es eigentlich, "wenn man an Heiligabend alleine bleibt?" Barbara Dribbusch macht sich ihre Gedanken über "typische Weihnachtsparanoia" und lehnt, wie auch ihre Freundinnen und Freunde, allesamt Alleinbleiber, das Treffen in einer "Notgemeinschaft an Heiligabend" ab. Für sie kommt das alles nicht in Frage, weder Hirschgulasch mit Schlagsahne für Kater Robinson noch ein Film über eine Männer-Vampir-Wohngemeinschaft noch ein traditioneller Weihnachtsspaziergang; auch wenn ihr Freund Pit davon schwärmt: "Es ist toll, wenn die Straßen so leergefegt sind wie bei „The Day After'."