Aus den Feuilletons

Die Regisseure des Islamischen Staates

Unterstützer der Terrorgruppe IS während einer Demonstration in Syrien.
Unterstützer der Terrorgruppe IS während einer Demonstration in Syrien. © afp / Karam Al-Masri
Von Gregor Sander · 24.09.2014
"Verfilmte Drehbücher" nennt die "Zeit" die Enthauptungsvideos der IS-Terrormiliz. Die Inszenierung sei wohlüberlegt und kalkuliere die mediale Übersättigung der westlichen Internetnutzer ein. Die Feuilletons bewerten den 50. Historikertag in Göttingen und trauern der Absetzung der Talkshow von Reinhold Beckmann nach.
Der Schriftsteller Clemens Setz betrachtet für die Wochenzeitung DIE ZEIT im Internet veröffentlichte Enthauptungen und mutet seinen Lesern einiges zu:
"Wo vorher eine menschliche Stimme war, ist in der nächsten Sekunde nur noch ein heiseres Zischen, ein Entweichen von Atemluft durch eine offene Röhre. Es ist der entsetzlichste Laut, der sich je in mein Gedächtnis eingebrannt hat."
Dieser von Setz beschriebene Mord wurde 2004 von Al-Kaida-Terroristen am Amerikaner Nicholas Berg begangen. Der österreichische Autor möchte an diesem drastischen Beispiel erklären, dass die heutigen Videos ganz anders funktionieren: "
Was an den drei neueren IS-Videos sofort auffällt, ist die Tatsache, dass sie, im Unterschied zu allen anderen ähnlichen Aufnahmen davor, die Enthauptung selbst gar nicht zeigen."
Mord geschieht "off stage"
"Verfilmte Kurzdrehbücher", nennt Setz diese abscheulichen Videos und hat in ihnen ein immer wiederkehrenden Ablauf entdeckt:
"Der sogenannte Islamische Staat degradiert das Opfer kurz vor seinem Tod zum Schauspieler, es hat einen vorbereiteten Text aufzusagen und eine Rolle zu spielen. Es trägt symbolträchtige Kleidung: den orangen Overall, so wie ihn auch die Gefangenen von Abu Ghraib und Guantánamo tragen müssen. Es hat eine bestimmte Pose einzuhalten, der Drehort ist inszeniert, die Bildästhetik wohlüberlegt."
Und so kommt Clemens Setz in der ZEIT zu folgendem Schluss:
"Die Tatsache, dass man – nach einer Schwarzblende – nur das höchst unwirkliche Bild des abgetrennten Kopfes auf dem blutverschmierten Körper sieht, lässt darauf schließen, dass das Video selbst eine inszenierte Rahmenhandlung darstellt. Der Mord geschieht off stage, er bleibt eine Leerstelle, die der Betrachter im Kopf ergänzt. Der durchschnittliche westliche Internetuser hat schon einige Enthauptungsvideos gesehen. Genau das wissen die Regisseure des IS. Sie setzen unsere mediale Übersättigung mit Darstellungen blutrünstiger Grausamkeit gegen uns ein."
Es fällt schwer, diesen Text bis zum Ende zu lesen.
Gauck in der Höhle des Löwen
Den Umgang mit der Geschichte thematisierte Bundespräsident Joachim Gauck in seiner Eröffnungsrede beim 50. Historikertag in Göttingen. Keine leichte Aufgabe, meint Johan Schloemann in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:
"Denn schließlich hatten ihn einige prominente Historiker deutlich gerügt für seine frische Politisierung der eingeübten Erinnerungskultur – insbesondere für seinen Versuch, aus der gescheiterten Eindämmung Adolf Hitlers einen Handlungsdruck gegenüber Wladimir Putin abzuleiten. Und jetzt kam Gauck in die Höhle des Löwen."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG druckt die Rede Gaucks in Auszügen ab und so kann man sich hier im Original informieren, was der Präsident unter Geschichte versteht:
"Lange vor uns sind Entscheidungen getroffen worden, die auch uns binden, obwohl wir dazu nicht gehört wurden. Dazu gehört auch Schuld, die wir nicht selber auf uns geladen, an der wir aber heute dennoch zu tragen haben. Zwar sind wir für unsere Vergangenheit nicht verantwortlich, für den Umgang mit ihr aber allemal. Und dieser Umgang entscheidet über unsere Gegenwart und Zukunft."
Bernhard Schulz vom Berliner TAGESSPIEGEL kommentiert das so:
"Über der Kenntnis der Vergangenheit die Zukunft nicht aus den Augen zu verlieren, deren Gestaltung unser aller Aufgabe ist, das ist – wenn man Gaucks Rede so verkürzen darf – ein starkes Wort."
Nach 15 Jahren stumpf gequatscht
Wer hätte gedacht, dass die Feuilletons dem Talkmaster Reinhold Beckmann noch einmal nachtrauern werden? Nach fünfzehn Jahren wird seine Talkshow an diesem Donnerstag zum letzten Mal gesendet und Michael Hanfeld stellt in der FAZ fest:
"Donnerstags, Richtung Mitternacht, fand der wöchentliche Talkshowreigen der ARD mit "Beckmann" zu einem Ende, das häufig mehr Nachdenkenswertes bot als die Runden an den Tagen davor."
Christian Meyer fragt im Interview der SZ:
"Sie sind nach 15 Jahren schon ein wenig, nun ja, stumpf gequatscht?"
Beckmann antwortet:
"Sie meinen reif fürs Schweigekloster? Gute Idee, habe ich schon mal ausprobiert, aber nur sieben Tage durchgehalten."
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