Aus den Feuilletons

Die Permanenz von Pergament

Besucher des Auktionshauses Sotheby's in New York beugen sich am 18.12.2007 über ein Exemplar der Magna Charta, bevor es dort versteigert wird.
Die Magna Charta, hier ein in New York versteigertes Exemplar, hat dank des Einsatz von Pergamentpapier viele Jahrhunderte überlebt. © picture-alliance / dpa / Justin Lane
Von Ulrike Timm · 15.02.2016
Britische Ziegen, Kälber und Schafe dürfen darauf hoffen, dass die Beschlüsse des Parlaments künftig nicht mehr auf ihrer Haut gedruckt werden. Hätten alleine die Historiker das Sagen, ginge es den Tieren aber weiter an den Kragen. Schließlich ist die Magna Charta von 1215 dank der hohen Qualität von Pergamentpapier noch heute gut lesbar.
"Glotz sie an, nenn es Bildung" – nein, wir sind nicht bei den Literaturverfilmungen der Berlinale, hätte aber gepasst! Die TAZ hat sich diese Überschrift einfallen lassen für eine Ausstellung im Leipziger Grassi-Museum, in der 27 Studierende das Museum selbst zum Thema machen: "Wo kommen die Objekte her? Wie werden sie vermittelt?" sind die Stichworte, zu denen man sich in Leipzig für die Austellung "fremd" allerhand hat einfallen lassen - Überzeugendes, Halbgares und Überflüssiges scheint gleichermaßen vertreten.

Verrisse für Berlinale-Film

Das ist immer noch deutlich mehr, als die Rezensenten von FAZ und WELT der neuen Verfilmung von Falladas "Jeder stirbt für sich allein" abgewinnen können, die im Wettbewerb der Berlinale gezeigt wird. Trotz Emma Thompson und Daniel Brühl ein Film, der sich an seiner Geschichte nur abarbeitet, sie überreich dekoriert, aber ihr niemals wirklich nahe kommt, so heißt es. Menschen, der Weg des Ehepaars Wangel, das zum Widerstand gegen das Naziregime aufruft, in dem es hunderte Postkarten schreibt, all das geht unter. Stattdessen jede Menge Autos - im Berliner Arbeiterviertel um 1940 - und ausgedehnte Folterszenen, "Trauriger kann ein Film seine Geschichte nicht verfehlen" schreibt die FAZ , die WELT sieht einen gemütlich getrunkenen "Schnaps auf den Widerstand". Das klingt nach Fiasko. Also lieber das Buch lesen.
Einem anderen Buch – oder besser seinem Autor, widmet die TAZ eine komplette Seite. Bernd Brunner hat schon über die Kulturgeschichte des Mondes, die Beziehung zwischen Mensch und Bär und die Kunst des Liegens geschrieben, jetzt sind die Vogelbeobachter dran. Brunner selbst beobachtet keine Vögel, er hat nicht einmal ein Fernglas, er konzentriert sich auf die Menschen hinter den Feldstechern, die mit bisweilen weltumspannender Leidenschaft bei der Sache sind. "Vielleicht spielt eine Rolle, dass Vögel eine besondere Aura haben: Sie haben keine Bodenhaftung, sind ein Sinnbild für Freiheit", so der Autor von "Ornithomania" – und Vögel, die auf Ornithomanisten stoßen, kommen ja auch gut dabei weg:
"Immerhin ist Birdwatching heute meist eine relativ gefahrlose Angelegenheit für die Vögel. In früheren Jahrhunderten wurden sie gejagt, erschossen und geschlachtet."

Wer zahlt die 80.000 Pfund?

Und damit zu geschlachteten Tieren aus Jahrhunderten und in die WELT: "Vor die Wahl zwischen Papier und Digitalisierung gestellt, würden sich Historiker für Pergament entscheiden." Das lesen wir über das aus Tierhaut hergestellte Schreibmaterial – nur Pergament ist permanent, es überdauert Jahrtausende, weshalb wir etwa die Magna Charta von 1215 heute noch ganz gut lesen können. Aber, und das ist der Knackpunkt der Geschichte, das britische Oberhaus hat angeordnet, Londoner Parlamentsbeschlüsse künftig nicht mehr für die Ewigkeit auf Pergament zu notieren, sondern bloß noch auf Archivpapier. Wegen der Kosten. Kein Tierschutzgedanke dahinter. Das wäre eine Revolution, erklärt uns die WELT. Allerdings, es besteht noch Hoffnung für die Permanenz des Pergaments.
Denn: "Den Beschluss fassten die Lords schon 1999. Jetzt soll er umgesetzt werden. Das letzte Wort ist allerdings noch nicht gesprochen: Das britische Kabinettsbüro bietet an, die 80.000 Pfund Kosten(ersparnis) zu übernehmen, damit Gesetze weiter auf Tierhäute gedruckt werden können. Premierminister David Cameron nennt die Praxis einen ‚wichtigen Bestandteil der Parlamentstradition'...."
Also: britische Ziegen, Kälber, Schafe, ab in Deckung – und vielleicht findet der umtriebige Bernd Brunner, der schon über die Kulturgeschichte des Mondes, die Beziehung zwischen Mensch und Bär und über leidenschaftliche Vogelbeobachter geschrieben hat, gleich wieder Stoff für ein neues Buch!
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