Aus den Feuilletons

Die nicht lesende Kulturministerin

Die französische Kulturministerin Fleur Pellerin.
Die französische Kulturministerin Fleur Pellerin. © AFP / Thomas Samson
Von Arno Orzessek  · 28.10.2014
Eine Kulturministerin, die freimütig zugibt, seit zwei Jahren kein Buch mehr gelesen zu haben? Ein Skandal in der Grande Nation! Ansonsten beschäftigen sich die Feuilletons weiter mit Frank Gehrys Pariser Museumsneubau und dem Clinton-Clan.
Hören wir zunächst Jörg Häntzschel, dem Autor der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, bei der Arbeit zu.
"Wie soll man das Ding beschreiben? Als ins Riesenhafte mutierten Hummer, der sich in einem noch zu drehenden Monsterfilm an Paris heranpirscht? Als Parfümflacon in Scherben? Als Wolke, Segelschiff, oder gar als eingefrorene Seeschlacht mit lauter für immer ineinander verkeilten Dreimastern?"
Die Architekturexperten unter Ihnen, liebe Hörer, ahnen wohl, dass es ein weiteres Mal um Frank Gehrys Museumsbau für die Fondation Louis Vuitton geht.
Denn die Beschreibungsversuche von Gehrys weißem Schalen-Dingsbums, die Häntzschel auflistet, stammen von Kritikerkollegen, waren also schon irgendwo zu lesen. Häntzschel selbst wettert wie folgt:
"Von außen wirkt der weithin sichtbare Rücken von Gehrys Bau wie gepanzert; im Inneren meint man, ihn vor lauter Anstrengung stöhnen zu hören. Ja, man kann Gebäude heute so modellieren wie Schlagsahne. Doch solange diese äußere Leichtigkeit einen derart maßlosen Apparat von stützender Hardware erfordert, stellt sich die Frage: Warum sollte man? Der Kunst, das weiß auch Gehry, ist damit nicht gedient."
"Eine Schande"
Ob der Kunst in Frankreich mit Fleur Pellerin als Kulturministerin gedient ist? Folgt man der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, sind viele französische Intellektuelle vom Gegenteil überzeugt. Denn Pellerin hat zugegeben, seit zwei Jahren kein Buch mehr gelesen zu haben und auch keinen Titel des neuen Literatur-Nobelpreisträgers Patrick Modiano zu kennen. Jürg Altwegg übermittelt den Aufschrei, der Pellerins Bekenntnis folgte:
"'Eine Schande', stöhnte Tahar Ben Jelloun, der vor ein paar Jahren den Prix Goncourt, die wichtigste französische Literaturauszeichnung, bekommen hat. 'Das kann nicht wahr sein, das darf nicht sein.' 'Konsternierend' nannte sein ebenfalls preisgekrönter Kollege Jean-Michel Olivier den Vorfall. Im 'Figaro' reagierte der Schriftsteller Christian Combaz mit einem offenen Brief, in dem er die französische Kulturministerin schlicht zum Rücktritt aufforderte."
Und nun frage sich jeder selbst, was er von diesen Reaktionen hält.
Tatsächlich gab's auch andere. FAZ-Autor Altwegg zitiert den bissigen Kommentar des Nachrichtenmagazins "Le Point":
"'All jenen, die Fleur Pellerin der Barbarei bezichtigen, wäre es lieber gewesen, wenn sie geblufft und gelogen hätte.'"
"Stoppt Hillary"
Bleiben wir bei der Frau in der Politik. "Stoppt Hillary" titelt die Tageszeitung DIE WELT, drückt damit aber weder die Meinung des Blattes noch die des Autors Jan Küveler aus, der übrigens auch mit Wortfindungsstörungen kämpft.
"Wie nennt man das Gegenteil von einer Wahlempfehlung? Wahlwarnung? Wahlverhinderung? Was das amerikanische 'Harper's Magazin' – seit 1850 eine Instanz politischer Überparteilichkeit und literarischer Sensibilität – in seiner Novemberausgabe veranstaltet, nämlich vom Titel zu schreien 'Stoppt Hillary! Wählt gegen eine Clinton-Dynastie", könnte man einen 'preemptive strike' nennen, einen Präventivschlag."
Tatsächlich malt der Autor des Magazin-Essays, Doug Henwood, laut WELT-Autor Küveler ein vernichtendes Bild der Clintons.
"Sie seien 'Arrivisten, die Politik auf neoliberale Art verfolgen. Das heißt nonstop Selbstvermarktung, riesige Buchvorschüsse und fette Rednergagen.'"
"Politzirkus Washington"
"Nur der Tod kann sie aus Washington abberufen", urteilt die FAZ und bezieht sich dabei generell auf die "Politiker, Lobbyisten und Journalisten" in der Hauptstadt der USA.
Mark Leibovich, selbst Journalist, hat sie in dem Buch "This town" porträtiert, das als "Politzirkus Washington" nun auch auf Deutsch erschienen ist. Und dem FAZ-Autor Patrick Bahners persönlich erklärt:
"Wenn man die Diskrepanz zwischen der Selbstgefälligkeit hier und der Abscheu im Lande betrachtet, zwischen dem Reichtum, der hier angehäuft wird, und den ökonomischen Schwierigkeiten überall sonst, erkennt man: Auf die Dauer kann das nicht gutgehen."
Womit unsere heutige Auslandsreise endet.
Auf welches Erlebnis auch immer Sie sich gerade freuen, liebe Hörer, wir wünschen Ihnen dabei mit einer Überschrift der BERLINER ZEITUNG: "Gänsehaut pur!"
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