Aus den Feuilletons

Die Kunst des Neinsagens

Damon Albarn, Sänger der britischen Band "Blur", 2013 auf einem Konzert in Santiago, Chile.
"Ein musikalisches Fest von (...) den gesamten Saal ergreifenden Gutgelauntheit" gelang Damon Albarn in Berlin. © picture alliance / dpa / Felipe Trueba
Von Maximilian Steinbeis · 01.07.2014
Jens Balzer sagt in der "Berliner Zeitung" Nein zum Fußballgucken und geht lieber auf ein Konzert des Blur-Sängers Damon Albarn. Die "FAZ" weigert sich, über Tierrechte nachzudenken und sagt außerdem Nein zu "Angst und Schweigen" der Buchverlage gegenüber Amazon.
"Um das gleich in aller Deutlichkeit auszusprechen: Nein."
Mit dieser Klarstellung beginnt in der BERLINER ZEITUNG Jens Balzer seinen Bericht vom Damon-Albarn-Konzert in Berlin, und was er da so vehement verneint, ist die Vermutung, es sei ihm um das verpasste Fußballspiel Deutschland - USA leid gewesen. Nein zu sagen, dazu gibt es an diesem Feuilleton-Tag viele gute Gründe, auch für den Pressebeschauer, aber, um das noch schnell abzuschließen, Damon Albarns Darbietung im Astra-Kulturhaus war offenbar keiner davon:
"... ein musikalisches Fest von sagenhafter Beschwingtheit und von einer derart umstandslos den gesamten Saal ergreifenden Gutgelauntheit und Freude am Spielen, dass man noch Stunden später davon ganz betrunken sein konnte."
Ein einziges großes Nein ist an diesem Tag die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. Christian Geyer sagt Nein zu "der neuesten Idee aus dem Paradiesgärtlein der Inklusion", nämlich über Tierrechte nachzudenken. Andreas Platthaus sagt Nein zu "Angst und Schweigen" der Buchverlage gegenüber dem Erzbösen Amazon. Wolfgang Streeck, der Kölner Soziologe, sagt Nein zu Big Data, Demokratieverfall, Konsumzwang und
"Figuren wie linuxpinguin, leberwurst, checker777, brbrbr, brandwolf und andere, die laufend anonym die Kommentarspalten der Online-Zeitungen verstopfen."
Und Julias Voss' Stoßseufzer über den Zustand des Kunstmarkts ist wenn schon kein markiges Nein, so doch jedenfalls entschieden negativ grundiert: "Die Arroganz einiger Künstler oder Sammler gegenüber der Öffentlichkeit ist maßlos", klagt die FAZ-Autorin und bekennt sich dazu, sich bei Ausstellungsbesuchen zu fühlen, "als ob einen Coca-Cola einlädt, die Form der Flasche zu interpretieren."
"Was für ein Glück, unser Gluck"
Heiterer lässt es die WELT angehen: "Was für ein Glück, unser Gluck", betitelt sie Volker Tarnows Text zum 300. Geburtstags des Opernkomponisten Christoph Willibald Gluck, nur um diesen dünnen Spaß mit dem ersten Satz noch zu toppen: "Gluck gluck, weg war er."
Da ist es an uns, Nein zu sagen und uns schaudernd der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zuzuwenden. "Glucks Stücke sind eine Zumutung", gibt uns dort Reinhard Brembeck zu lesen, "sie gehen aufs Ganze, sie setzen die Wahrheiten der menschlichen Psyche radikal über jede Unterhaltung. Mozart ist nie so monoman, nie so radikal und deshalb erfolgreicher." Das ist feinstes Feuilleton, nur was die "lugubre Dezenz" sein soll, die Glucks Partituren angeblich auszeichne, vermögen wir nicht zu enträtseln.
Wer viel zu selten Nein sagt, ist die chinesische Bürokratie, jedenfalls wenn es um Bestechungsangebote geht. In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG führt Wei Zhang die epidemische Korruption im spätkommunistischen China auf Konfuzius zurück. Die konfuzianische Lehre unterscheide zwischen
"'Edlen' und 'Gemeinen', wobei der Edle einer ist, der sich zum Beamten qualifiziert oder bereits eine Beamtenfunktion innehat. Gemäß der idealen Konzeption verfügt er über die Disziplin und die Selbstkontrolle, die er durch ständige Selbstkultivierung perfektioniert. Ein solcher Edler benötigt keine Kontrolle von außen und steht selbstverständlich über dem Gesetz. Gesetze und Strafen bleiben den «gemeinen» Menschen vorbehalten."
Zuletzt bleibt uns noch Zeit, einen großen Neinsager zu würdigen, Innenverteidiger Per Mertesacker, der nach dem unerfreulichen Algerien-Spiel den Fernsehreporter mit den Worten abblitzen ließ: "Was sollen die komischen Fragen?" Dirk Schümer in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG ist voller Sympathie:
"... was das Schlimmste ist: die Verpflichtung, die eigene Leistung – ob Versagen, Durchwursteln oder Triumphieren – hinterher auch noch geistreich in Worte zu fassen."
Der wahre Weltmeister im Umgang mit komischen Fragen ist für FAZ-Autor Schümer aber Nationaltorwart Manuel Neuer.
"'Man kann alles erklären, wenn man es analysiert', beantwortete Neuer mit westfälischem Gleichmut die Frage, ob er die vielen deutschen Fehler erklären könne. Dieser geniale Mann sollte später einmal beim Fernsehen anheuern.
Oder, wagen wir hinzuzufügen, beim Feuilleton.
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