Aus den Feuilletons

Die Grenze der Meinungsfreiheit

Zahlreiche Rettungskräfte und Polizisten vor dem Redaktionsgebäude von "Charlie Hebdo".
Auslöser für die Frage nach der Grenze der Meinungsfreiheit: Die Anschläge von Paris © AFP / Martin Bureau
Von Hans von Trotha · 18.01.2015
Die "taz" zeigt, wie wenig nach den der Pariser Anschlägen von der Politik zu erwarten ist: Gerade bei der Frage nach der Grenze der Meinungsfreiheit würgt eine Mitarbeiterin der französischen Kulturministerin ein Interview ab. Den wahren Ursachen der Attentate widmet sich die "SZ".
"Alle warten auf die Nummer 1178", titelt die Süddeutsche. Das ist die Nummer der aktuellen Ausgabe jener Zeitschrift, die derzeit so viele Menschen zu sein meinen. Am Ende der SZ-Meldung heißt es:
"Der Chefredakteur von Charlie Hebdo, Gérard Biard, verteidigte im US-Fernsehen das Vorgehen des Magazins, auf dem aktuellen Titel wieder eine Karikatur des Propheten zu zeigen. 'Jedes Mal, wenn wir eine Karikatur Mohammeds zeichnen; jedes Mal, wenn wir eine Karikatur eines Propheten zeichnen; jedes Mal, wenn wir eine Karikatur Gottes zeichnen, verteidigen wir die Religionsfreiheit', sagte er am Sonntag dem Sender NBC News."
Das sehen nicht alle so. Und so befindet sich die Debatte um die Pariser Anschläge nach dem Schock und dem Reflex in der dritten Reflexionsrunde, in der versucht wird, die Positionen zu sortieren und, wo möglich, einen Gewinn für die Gesellschaft zu sichern.
Im SZ-Interview spricht der Pariser Soziologe Michel Wieviorka von einer "Diskursexplosion". Er benennt die wahren Ursachen der Ereignisse: "Die Attentate haben weniger mit dem Islamismus zu tun als mit der Wirtschaftskrise und der Krise unseres republikanischen Modells. Wir haben das republikanische Versprechen nie eingelöst." Wieviorka meint: "Ich fürchte, unsere kümmerliche Politik wurschtelt weiter."
"Bitte eine Frage zum Kino"
Wie wenig von der Politik zu erwarten ist, belegt eine Art "Speed-Interview" mit der französischen Ministerin für Kultur Fleur Pellerin, an dem eine taz-Korrespondentin teilnehmen durfte.
"Eine Kollegin", heißt es da, "erkundigte sich nach der Grenze der Meinungsfreiheit, wie sie etwa der Fall von Dieudonné markiert. Vor Kurzem postete der für seine antisemitischen Ausfälle bekannte Komiker auf Facebook den Satz 'Je me sens Charlie Coulibaly'; dafür muss er sich vor Gericht verantworten. 'Die Freiheit des Worts ist sehr wichtig in Frankreich', sagt Pellerin. 'Das hat eine lange Tradition, denken Sie an Rabelais und Voltaire. Dazu gehört, dass man Gefühle verletzen kann. Aber man darf das Gesetz nicht brechen.'"
So die Ministerin. Die taz-Korrespondentin fügt hinzu: "Wie schwierig es ist, genau zu wissen, wo die Grenze zwischen Hetze und freier Meinungsäußerung verläuft, darüber hätte man noch lange mit Fleur Pellerin reden wollen. Doch die Frau, die zum Pressestab der Ministerin gehört, schreitet ein: 'Bitte eine Frage zum Kino.'"
Zur Meinungsfreiheit bezieht Jürgen Kaube in der FAZ Stellung: "Beleidigungen hat die Justiz zu ahnden, sonst niemand", befindet er. Nicht einmal der Papst.
"Wer die Mutter von Jorge Mario Bergoglio beleidigt, weiß jetzt, womit er zu rechnen hat. (…) Auch als Papst Franziskus genießt Herr Bergoglio Meinungsfreiheit. Sie wird nicht ein-geschränkt, wenn man feststellt, dass nicht recht durchdacht ist, was er gesprächsweise mit-geteilt hat. Wäre törichte Kommunikation nicht geschützt, brauchten wir deutlich mehr Richter."
"Idioten wie Angela Merkel"
In derselben FAZ erklärt der frühere Titanic-Herausgeber Oliver Maria Schmitt: "Warum ich kein Satiriker mehr bin".
"Die Anschläge in Paris haben mein Leben verändert", schreibt er. "Unschuldige Satiriker haben ihr Leben verloren – klar, das ist schlimm. Wo aber Gefahr ist, da wächst das Rettende auch, und das kam ganz unterwartet in Form vieler neuer Spott- und Hohnfreunde. Von 'Bild' über 'B.Z.' bis 'Jungle World' und 'Spiegel' riefen alle 'Je suis Charlie!' und waren nun ebenfalls Satiriker. So viele neue Kollegen hatte ich noch nie, das hat mich sehr berührt. Ich war sehr stolz darauf, ebenfalls Satiriker zu sein und zu diesem plötzlich sehr hochangesehenen Berufsstand zu gehören."
Nachdem selbst Kai Diekmann sich den Bart abgenommen und erkannt hat, dass er auch Charlie ist, meint Schmitt:
"Da fehlte jetzt nur noch die große 'Wir sind Charlie'-Solidaritätsgala im ZDF, mit Johannes 'B.' Kerner und allen deutschen Mediengrößen von Giovanni di Lorenzo bis Mathias Döpfner. (…) Zum Glück berichtete kaum einer, was der Spielverderber und Charlie-Hebdo-Zeichner Renald Luzier, der das Attentat knapp überlebte, gerade gesagt hatte: 'Man hat's nicht leicht, wenn man von solchen Idioten unterstützt wird wie Angela Merkel."'
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