Aus den Feuilletons

Die Burka und die Peepshow

Vollverschleierte Frauen auf einer Kundgebung des radikalen Salafistenpredigers Pierre Vogel in Offenbach.
Verschleierte Frauen auf einer Salafisten-Kundgebung in Offenbach © dpa / picture alliance / Boris Roessler
Von Paul Stänner · 12.12.2014
Die "FAZ" ist überzeugt: Wer Burka trage, dürfe in Europa nur Tourist sein - denn Burkaträgerinnen machen "aus dem Museumsbesuch eine Peepshow". Welche verschrobene Argumentation steckt hinter dieser These?
Der Fernsehshow "Wetten, dass..." werden nach 34 Jahren die lebenserhaltenden Systeme abgeschaltet und keiner will bei der Beerdigung fehlen. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG erinnert Holger Gertz daran, dass der "deutsche Samstagabend ... das Hochamt von Gemeinsamkeit, Gemütlichkeit und Spießigkeit" war. Dann zählt er etliche Kostproben auf, mit denen sich die Show vor allem bei amerikanischen Gaststars blamiert hat und eröffnet damit ein Ritual, das auch viele andere Zeitungen zelebrieren.
Auch in der FAZ ruft Stefan Niggemeier in Erinnerung, wie erleichtert Grace Jones 1985 war, weil sie schon während der Proben aus der Show geflogen war. Dies lesend scheint uns, dass die Peinlichkeit deutscher Abendunterhaltung nur in der Gegenwart von Ausländern deutlich wird, während deutsche Zuschauer damit anscheinend gut zurechtkommen. Kulturkritisch äußert Niggemeier nach 34 Jahren Wetten-Show eine gewisse Erleichterung, denn: "Vermutlich wird nach „Wetten dass...?" nie wieder eine unwichtige Fernsehsendung so wichtig genommen werden. Das muss aber nichts Schlechtes sein."
In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG kann sich Claudia Schwartz nicht daran erinnern, dass eine andere Unterhaltungsshow "einen derart langsamen und gequälten Tod gestorben" sei und wendet sich der Zeit-Diagnostik zu: "Saalwetten im Fernsehstudio und darüber hinaus muten im Zeitalter der Youtube-Selbstdarsteller, im unendlichen Echoraum einer mitteilungsbedürftigen Social-Media-Community, hoffnungslos anachronistisch an."
Kein Spiel mit der nackten Angst
Eine leise Wehmut überkommt sie doch, wenn sie im Vergleich neue Showformate wie "Mein bester Feind" sieht, denn: "'Wetten, dass...?' war immer das Spiel mit dem kleinen Thrill, nicht jenes mit der nackten Angst." Wir vermuten, dass es genau das ist, was die Social-Media-Community wünscht. Wir bleiben bei der nackten Angst. Dirk Schümer hat sich in der WELT die Anti-Islamisten der Pegida-Bewegung und ihren Kampfbegriff von der Rettung des "Abendlandes" vorgenommen und rückt die Verzerrungen in ihrer Propaganda zurecht.
Er erinnert an Rassismus, Shoah, Angriffskrieg und : "Statt von abendländischen Werten zu raunen, muss man sich erst einmal klarmachen, dass keine Zivilisation all diese Werte schlimmer geschunden hat als Europa selbst." Hinterlistig erinnert er die "patriotischen Dresdner Europäer" daran, dass sie zu guten Teilen vor wenigen Jahre selbst in den Genuss einer westlichen Willkommenskultur gekommen waren und jetzt übersehen, dass die Flüchtlinge, gegen die sie demonstrieren, nur zu uns kommen, weil sie aus einem "totalen Krieg oder bestialischen Salafismus" fliehen.
Zur Willkommenskultur stellt Kerstin Holm in der FAZ fest, wer Burka trage, dürfe in Europa nur Tourist sein. Sie beginnt mit einer Verteidigung der Burka, weil viele Musliminnen fänden, diese Kleidung schütze ihre Würde - und: „Menschenwürde wird in unterschiedlichen Kulturen eben verschieden interpretiert". Ja, eine Burka zu tragen, gilt ihr durchaus als "Kulturleistung", denn es sei "eine Kunst, die Übung und Geschick erfordert, das stoffreiche Kleidungsstück so ... zu lupfen oder schwingen zu lassen, dass man nicht darüber fällt."
Erniedrigung der Kunst
Dann wechselt sie den Kulturbegriff und bringt die abendländische Malerei ins Spiel und ihre Gewohnheit, nackte Körper zu malen und auszustellen. Mit dieser Konfrontation kommt sie zu ihrer eigentlichen These - wörtlich: "Wer mit einer Burka bekleidet durch eine Gemäldegalerie promeniert, erniedrigt die Kunst, unseren größten Schatz."
Denn: "Die Burkaträgerin macht aus dem Museumsbesuch eine Peepshow, aus einer Begegnung mit Kunst wird feiger Voyeurismus." Daraus folgt: "Es ist keine Zumutung, wenn man von Leuten, die in Deutschland leben, verlangt, die Burka im Schrank zu lassen".
Wir sind erstaunt, aber wir finden, wer so wie Kerstin Holm verschrobene Argumente "so lupfen oder schwingen lassen kann, dass man nicht darüber fällt", der verdient unbedingt unsere Anerkennung.