Aus den Feuilletons

Dichtung kann gesund sein

Im Münchner Hirschgarten hat es sich ein Mann unter einem Baum in der Sonne bequem gemacht und liest.
Die Rezeption von Literatur findet häufig eher bewegungsarm statt - aber wie stehen Dichter zum Thema Fitness? © picture alliance / dpa / M. C. Hurek
Von Ulrike Timm · 01.05.2016
Fitness und Dichtung vertragen sich nicht - davon ist die Feuil­le­ton­-Re­dak­tion der "Welt" überzeugt. Umso größer ist das Staunen über einen Quellenfund, der beweist: Einer der einflussreichsten US-Dichter war mal Fitness-Ratgeber.
"Kastrierter Trojaner hört mit" – steht in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Der Artikel dazu kommt leider eher dröge daher. Es geht um den schmalen Grat der vom Bundesverfassungsgericht eng an die Leine genommenen Möglichkeiten der Online-Überwachungsmethoden durch das Bundeskriminalamt.
Das BKA will sich jetzt mit einer abgespeckten Version, eben einem kastrierten Trojaner, behelfen. Es tut sich zwar schon mit der Entwicklung schwer, aber die FAZ beruhigt das wenig: "Die Quellen-TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) sollte endlich als das benannt werden, was sie ist, nämlich eine durch Infiltration eines Computers heimlich installierte und von außen gesteuerte Spionagesoftware."
Die bundeskriminalistischen Bastelarbeiten mit dem Ziel einer gesetzeskonformen Überwachungsmethodik sind schwierig und ein heißes Eisen, macht der Artikel von Constanze Kurz deutlich.

Eine unerwartete Facette à la Turnvater Jahn

Fröhlicherem widmet sich die WELT, wenn sie von dieser Gleichung ausgeht: Fitness und Literatur vertragen sich nicht. "Dichtung ist meistens ungesund… denken Sie an den in Versen allgegenwärtigen Herbst oder an die leichenblasse Emily Dickenson, die kaum je ihr Zimmer verließ. Unvorstellbar, dass sie zwischen zwei Meisterwerken Kniebeugen machte. Unvorstellbar, dass Edgar Allen Poe, als in graulicher Mitternacht der Unglücksrabe bei ihm klopfte, über die morgendliche Joggingstrecke nachsann."
Einer aber wusste es besser. Der freiheitsliebende, maximalbärtige amerikanische Lyriker Walt Whitman hielt es nämlich anders, zumindest theoretisch, er verfasste ausufernde Texte zur Männerfitness. Und die fügen - frei nach dem Motto: Kultur neu entdeckt! - dem großen amerikanischen Lyriker eine unerwartete Facette à la Turnvater Jahn hinzu.
Ob die Fans seines weltberühmten Epos "Grashalme" diese nun künftig joggend niedertrampeln? Etwas weniger Transzendenz zugunsten einer gehörigen Portion Physis? Auf den Schreck erstmal eine vorsichtige Kniebeuge, und dann lesen wir weiter….

"Für so ein Polen nicht gekämpft"

"Für so ein Polen haben wir nicht gekämpft" schimpft der große, mittlerweile 90-jährige Regisseur Andrzej Wajda in der WELT. Über die neue, nationalkonservative Regierung Polens meint er bitter: "Sehr viel, was jetzt passiert, haben wir schon vor 1989 gesehen. Diese Art, das Land zu regieren: es gibt eine Partei, und diese Partei sieht bestimmte Leute für bestimmte Posten vor. Ob diese Personen für diese Aufgaben qualifiziert sind, hat keine Bedeutung… Dieses System, in dem eine Partei das Land regiert, ist in Polen sehr bekannt."
Vom Interview mit Andrzej Wajda in der WELT schlagen wir eine Brücke zurück in die FAZ: Paul Ingendaay erzählt dort von einem Besuch im polnischen Breslau bzw. Wrocaw, Kulturhauptstadt dieses Jahres.
"'Polen braucht jede Verbindung zum Westen, die es kriegen kann, und es ist gut, dass das Kulturhauptstadtjahr ein Gegengewicht zum ersten Jahr der Kaczynski-Regierung bildet'", hört der Autor dort. Und besucht ein freundliches, entspanntes Breslau mit einem nur auf den ersten Blick niedlichen Wahrzeichen: überall sitzen, stehen, klettern oder liegen Zwerge.
"Hinter den kleinen bronzenen Kerlen steckt politischer Sinn. Die 'Alternative in Orange', eine anarchisch-kulturelle Protestbewegung gegen Polens kommunistisches Regime, benutzte in den 70er-Jahren immer wieder Zwerge als Symbol des Widerstands: ins Auge stechend, doch politisch unverdächtig, so allgegenwärtig wie ungreifbar. Mit den Wichteln wurden auch Parteiplakate übermalt – staatsfeindliche Parolen konnten den Aktivisten nicht zur Last gelegt werden."

Regierungskritischer Zwergenwiderstand

Inzwischen sind die Zwerge ein Symbol für Breslau, es gibt städtische, gewerbliche und private Zwerge – und womöglich auch bald wieder eine Portion regierungskritischen Zwergenwiderstand? Das würde den großen Andrzej Wajda sicher freuen.
Zwergenbedingt schaffen wir jetzt die Kritiken zu Georg Friedrich Haas neuer Oper Morgen und Abend leider nicht mehr, möchten Sie aber nicht ohne den FAZ-Titel dazu lassen, der da heißt: "Das Jenseits scheppert silberhell".
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