Aus den Feuilletons

Deutschland, das Land der Revoluzzer?

Bürger, auf die Barrikaden: Laiendarsteller spielen in Berlin die revolutionären Ereignisse vom 18. März 1848 nach.
Bürger, auf die Barrikaden: Laiendarsteller spielen in Berlin die revolutionären Ereignisse vom 18. März 1848 nach. © dpa / picture alliance / Klaus-Dietmar Gabbert
Von Tobias Wenzel · 24.02.2015
Es soll keine Kriege mehr geben, bestenfalls auch keinen Staat und der Kapitalismus sollte abgeschafft werden - das sind heute keine extremen Ansichten mehr. Das ergab eine Meinungsumfrage, die in der "FAZ" analysiert wird.
"In Deutschland herrscht keine echte Demokratie", schreibt Jürgen Kaube in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, und sofort denkt man: Jetzt ist auch noch der Kaube Verschwörungstheoretiker. Aber direkt danach schreibt der Journalist: "Das finden, einer jüngsten Meinungsumfrage zufolge, mehr als sechzig Prozent der Deutschen." Ein Fünftel der Befragten sei der Meinung, Deutschland brauche eine "Revolution". Die Hälfte der Umfrage-Teilnehmer wehre sich dagegen, dass Kritiker der Demokratie in Deutschland "zu schnell als Extremisten abgestempelt würden".
Außerdem sei fast jeder zweite der Meinung, dem Staat solle das Gewaltmonopol genommen werden. "An dieser Stelle kapitulieren sogar die Forscher", schreibt Kaube weiter. "Eine nicht extremistisch genannt werden wollende Revolutionsbereitschaft von links, die eher gewaltlos zu einem Staat ohne Gewaltmonopol führen soll, der sich nicht mehr in kriegerische Auseinandersetzungen treiben lässt und den Kapitalismus zwanglos abschafft? Die Utopie war auch schon aggressiver."
Schöne neue Welt in Brandenburg
"Die meisten Revolutionen scheitern an kleinen Dingen", schreibt Björn Wirth in der BERLINER ZEITUNG und meint das neue Fernsehformat von Sat.1: "Newtopia". Fünfzehn Kandidaten sollen ein Jahr lang auf einem eingezäunten Areal in Brandenburg, rund um die Uhr beäugt von Kameras, "eine bessere Welt errichten". Das Startkapital: "5.000 Euro, ein Handy mit 25 Euro Gesprächsguthaben, zwei Kühe und 25 Hühner".
Wirth hatte beim Sehen der ersten Zusammenschnitte offenbar seine Freude, besonders an Kandidat Candy: "Candy steht nach eigenem Bekunden irgendwann und keineswegs zu früh auf, hört ein bisschen Musik und denkt dann intensiv darüber nach, was man so machen könnte. Nur nicht zu viel! Außerdem berichtet er, als handelte es sich dabei um eine gewisse Lebensleistung, dass er den Vormittag vorzugsweise nackt verbringt."
Hasspropaganda oder Antikriegsfilm?
Von nackten Fernsehrevolutionären zu einem Kriegsfilm kann die Überleitung nur in die Hose gehen. Also lieber ohne: "Gnadenlose Hasspropaganda, klarer Antikriegsfilm, Superheldenkino mit realen Soldaten, wichtiges Statement gegen Schusswaffenwahn", schreibt Tobias Kniebe in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über die kontroverse Aufnahme von Clint Eastwoods Kinofilm "American Sniper" in den USA.
"All das, was das Suchtpotenzial des Krieges ausmacht, wird hier affirmativ reproduziert", kritisiert Andrea Köhler in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Ganz anders bewertet Anke Westphal den Film, der das Leben des realen Scharfschützen Chris Kyle und seiner Einsätze in Afghanistan und im Irak thematisiert. In der BERLINER ZEITUNG schreibt sie: "Es mag irritierend sein, einen solchen Menschen zum Mittelpunkt einer Filmerzählung zu machen, aber unzulässig ist es keinesfalls, wenn man Kunst als Arbeit an der Wirklichkeit betrachtet. Patriotismus ist Teil der Lebenswirklichkeit, wenn auch nicht gerade in Deutschland."
Ernesto Franco oder Ernesto Ferrero?
"Monopol. Oder Mangel an Freiheit", gibt der Autor Mario Fortunato in der FAZ dem Schreckgespenst einen Namen. Fünfzig Schriftsteller, darunter Umberto Eco, haben mit einem offenen Brief in italienischen Tageszeitungen gegen die geplante Übernahme der Verlagsgruppe RCS durch die Gruppe Mondadori protestiert. Letztere werde von Berlusconis Tochter Marina geführt, erklärt wiederum Thomas Steinfeld in der SZ.
Dann wird's kurios: Die Zeitung "La Repubblica" habe ein Telefoninterview mit Ernesto Franco, dem Geschäftsführer von Einaudi, einem zur Berlusconi-Gruppe gehörigen Verlag, veröffentlicht, in dem Franco sich seltsamer Weise gegen die Übernahme ausgesprochen habe. In den Worten von Thomas Steinfeld: "Noch während man sich verblüfft die Augen rieb, kam die Korrekturmeldung: Der Interviewer hatte sich in seinem Telefonbuch verirrt und nicht Ernesto Franco, sondern Ernesto Ferrero angerufen", den Chef der Turiner Buchmesse.
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