Aus den Feuilletons

Deutliche architektonische Worte

Der französische Architekt und Träger des Pritzker-Preises Jean Nouvel, aufgenommen am 15.12.2015 in Barcelona
Der französische Architekt und Träger des Pritzker-Preises Jean Nouvel © imago / ZUMA Press
Von Hans von Trotha · 29.03.2017
In der "NZZ" wird der Franzose Jean Nouvel für seine Vorschläge zur Verwandlung der Städte bejubelt. Die "Zeit" befragt den japanischen Architekten Ryūe Nishizawa – der für eine "Atmosphäre zum Leben" plädiert, statt einfach nur Häuser zu bauen.
Klartext im Feuilleton. "Endlich redet einer Klartext", ruft ein engagiert erregter Roman Hollenstein aus der NZZ heraus. Er meint den Architekten Jean Nouvel.
"Der vom Glauben an eine neue Architektur des 21. Jahrhunderts beseelte Pritzker-Preisträger analysiert in der Tageszeitung 'Le Monde' die Situation der Städte und stellt fest, dass diese ... immer mehr verwüstet würden".
Nouvel fordere "die sanfte Verwandlung der französischen Städte, welche die Raison d'etre der Architektur des 21. Jahrhunderts sei. Gezielte Interventionen könnten Kunst und Lebensfreude zurückbringen in Städte und Quartiere. Dazu müssten sich alle an der Transformation der Stadt beteiligen: Ingenieure und Ökologen, Philosophen und Unternehmer, Künstler und Poeten."
Alle reden plötzlich architektonischen Klartext. Einen Pritzker-Preisträger leistet sich dazu auch die ZEIT, sogar im O-Ton, und dann noch einen der "eigentlich keine Interviews" gibt. Den fragen sie:
"Wie wollen wir in Zukunft wohnen?"
Der Japaner Ryūe Nishizawa sagt dazu:
"Ich denke, Nachbarschaft wird sich zur Lebensform entwickeln. Also sollten Architekten nicht einfach Häuser entwerfen, sondern eine Atmosphäre zum Leben."

Die Neuinterpretation städtischer Räume

Gerhard Matzig weiß in der SÜDDEUTSCHEN schon, was "die Zukunft der Stadt ist". Stichwort: Umnutzung.
"So könnten", meint Matzig, "überall in den Städten Infrastrukturen oder Gewerbebrachen überbaut, neuinterpretiert und auch sonst in mannigfacher Weise zurückerobert werden."
Und Michael Mönninger weiß in derselben SÜDDEUTSCHEN sogar, "Wie man Straßen verzaubert". Er hat dazu zwar keinen Pritzker-Preisträger am Start, aber einen der ganz Großen der Stadtpublizistik. Er feiert "Walter Benjamins Aufsätze über Städte und Architekten in einer gelungenen Neuausgabe". Und er redet Klartext:
"Die ästhetische Lumpensammlerei der Kulturgeschichte stieg seit ihren Anfängen in der Volkskunde der Brüder Grimm zum Gestaltungsideal der modernen Avantgarden im 20. Jahrhundert auf. Doch aus der Liebe der Alltagsarchäologen zum Zufall, Abfall und zum Marginalen wurde schnell ein beispielloser Kitsch des Negativen, der in entgrenzter Müll-Kunst und popartistischer Trivial-Romantik versackte."

Botho Strauss und der Kitsch

Kitsch moniert auch Botho Strauss, und landet auch bei der Romantik. Aber anders. Er fordert auch keine Reform der Stadt, sondern eine "Reform der Intelligenz".
"Wir leben", heißt es da, "mit denkfaulem Kitsch über Minderheiten, Toleranz und Menschenrechte. Aber es gibt einen Ausweg aus dem Niedergang des Denkens".
Das verspricht die ZEIT-Redaktion, damit wir den Strauss-Text auch wirklich lesen. Na gut:
"Ideenkitsch – weitläufiges Flachrelief aus Gedankenpolyester. Kitsch der Toleranz, Kitsch des Weltweiten, Humankitsch, Kitsch der Minderheiten und der Menschenrechte, Klima-Kitsch und Quoten-Kitsch, Kitsch von Kunst und Wahn – dies alles sich vorstellen als eine erstarrte Paste, ausgedrückt aus einer Tube wie von Claes Oldenburg. Dick aufgetragen, obszön vorquellende Paste aus zerquetschter Tube."
Was der Architekt Jean Nouvel als Hoffnung zum Ausdruck bringt, nämlich dass Künstler und Poeten an der neuen Stadt mitwirken, also die Stärkung des Poetischen, das klingt bei Botho Strauss so:
"Alle Zukunftsträume, den Typus des Intellektuellen betreffend, sind schon deshalb Schäume, weil Intellektuelle von der Mutter aller Revolutionen zur Welt gebracht wurden und nun im Alter von über 200 Jahren als verbraucht und überlebt angesehen werden müssen ... Das poetische Wissen wird gegen den erschöpften Intellekt wiedererstarken."
Und Strauss macht Werbung für sich:
"Der Reaktionär", schreibt er, "ist das Nachhaltigste, was die Denkwirtschaft hervorgebracht hat."
Und:
"Was der Romantiker gegen die beginnende Industrieepoche war, muss der poetische Myste gegen die amusische Intellektualität der Wissensgesellschaft sein."
In der ZEIT kann man dem "poetischen Mysten" schon mal bei der Arbeit zusehen. Auf seine Art ist das ja auch so etwas wie Klartext.
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