Aus den Feuilletons

Der Retter der Gutmenschen

"Gutmensch" steht nach der Bekanntgabe als "Unwort des Jahres 2015" auf einem Computerbildschirm.
"'Gutmensch' sagt man nicht", posaunt die "NZZ". © dpa / picture alliance / Frank Rumpenhorst
Von Arno Orzessek · 22.01.2017
Was steht hinter der Gutmenschen-Kritik? Die "NZZ" lässt einen Philosophen - entschieden gutmenschlich - darauf antworten. Ansonsten dominiert Donald Trump die Feuilletons: nach keiner greifbaren Definition ist er ein Gutmensch.
"'Gutmensch' sagt man nicht", posaunt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG – und schürt bei uns eine bestimmte Befürchtung:
Dass da nämlich ein… nun ja… typischer Gutmensch entschieden gutmenschlich gegen das Etikett aufbegehrt, das ihm und Seinesgleichen von Leuten, die keine Gutmenschen sein wollen, angeklebt wird.
Ganz so vorhersehbar kommt's dann aber nicht.
Der Philosoph Michael Schefczyk stellt "Überlegungen zu Moral und Moralismus in der öffentlichen Diskussion" an und munitioniert sich dazu mit Thesen des englischen Denker-Liebespaars John Stuart und Harriet Taylor Mill.
"Wenn eine Sichtweise vertreten wird, die einem selbst falsch vorkommt [so Schefczyk], darf man aus Sicht der Mills nicht vergessen, dass auch die andersdenkende Person für ihre Position Gründe zu haben glaubt. […] Das 'schlimmste Vergehen' öffentlicher Diskussionen besteht den Mills gemäss darin, 'diejenigen, welche die Gegenmeinung vertreten, als schlechte und unmoralische Menschen zu stigmatisieren."
Beim Gutmenschen geht’s indessen ums Gegenteil. Ihm wird der Moral-Überschuss angekreidet – was Schefczyk nicht korrekt findet.
"Auch wenn es einem grotesk erscheint, wenn mit dem Wort 'Gutmensch' 'Toleranz und Hilfsbereitschaft' abgewertet werden sollen, ist im Millschen Geist nach den Gründen zu fragen. Dabei könnte sich zeigen, dass hinter dem Wortgebrauch tatsächlich nicht mehr steht als der Versuch, Hilfspflichten zu verleugnen, das schlechte Gewissen über die eigene Untätigkeit abzuwehren oder diffuse Wutgefühle, Ängste oder Regungen von Sozialneid auszudrücken."
Nun, aufgrund dieser Argumentation muss Schefczyk im Zweifel damit rechnen, als Retter der Gutmenschen ausgezeichnet zu werden.
Aber lassen wir das! Wir sind der Debatte nämlich leid und schließen uns der erwähnten NZZ-Überschrift an: "'Gutmensch' sagt man nicht" – weil es halt nervt, wie man’s auch wendet.

"'America first' ist eine analytische Nullformel"

Außerdem ist Donald Trump, auf den wir jetzt kommen, nach keiner greifbaren Definition ein Gutmensch.
Er agiert vielmehr "Mit dem Herzblut des Stärkeren", wie die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG bemerkt.
Die Unterzeile des Artikels ist für uns die Zeile des Tages:
"[Trumps] 'America first' ist eine analytische Nullformel, ein Lustschrei der politischen Pornographie."
Endgültig entlarvt hat sich der politische Pornograph Trump aus der Sicht Christian Geyers in der Inaugurations-Rede:
"Diese Rede […] macht mit dem Kleingedruckten der Freiheitsrechte kurzen Prozess. Das wird deutlich, wenn in ihr die Menschenwürde als Bezugsgröße des Politischen […] schlichtweg nicht vorkommt. Stattdessen wird unqualifiziert auf die 'vergessenen Männer und Frauen' Bezug genommen, auf das 'Blut der Patrioten', auf 'jeden Atemzug' von Trumps Körper, der als Physis des Volkstribuns die Leerstelle der Menschenwürde ausfüllt. […] [Dabei ist Trump] in Wahrheit völlig unempfindlich für jene 'vergessenen Frauen und Männer', die auf der Bühne des nationalen Egoismus die Rolle von Statisten einnehmen."
So der FAZ-Autor Geyer.

Wird Trump die Massenüberwachung ausweiten?

Zum selben Thema stellt Friedrich Küppersbusch den Lesern der TAGESZEITUNG ein drastisches Bild vor Augen.
"Trumps Inaugurationsrede war in weiten Teilen eine ungebetene Prostata-Massage am Sack des Sozialismus: alleinerziehende Frau, bessere Schulen, gerechtere Verteilung, Jobs, Jobs, Jobs."
Derweil fragt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG die britische Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison, ob Trump die Massenüberwachung ausweiten wird.
Antwort Harrison:
"Man wird sehen. Edward Snowden hat immer gesagt, er habe auch aus der Sorge gehandelt, dass die Instrumente der NSA in die falschen Hände geraten. Es ist tragisch, dass genau das jetzt passiert ist. Und alle sagen, Obama ist so toll – aber er hat in den letzten Tagen die Möglichkeiten der NSA noch einmal erweitert. Trump kann damit seine Vorhaben viel leichter umsetzen."
Falls Sie uns fragen, liebe Hörer, wohin die politische Reise dieses Jahr geht, antworten wir Ihnen mit einer Überschrift aus dem Berliner TAGESSPIEGEL:
"Dorthin, wo es wehtut."
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