Aus den Feuilletons

Der Krieg und die Macht der Bilder

Die Schauspielerin Jenny König als Claire Haber in "The Forbidden Zone", Salzburger Festspiele 2014
Die Schauspielerin Jenny König als Claire Haber in "The Forbidden Zone", Salzburger Festspiele 2014 © Salzburger Festspiele / Stephen Cummiskey
Von Paul Stänner  · 31.07.2014
Die Feuilletons würdigen den verstorbenen Filmemacher Harun Farocki. Er habe den Schrecken der Kampfhandlungen etwa in der Ukraine und im Gaza-Streifen in seinen Arbeiten vorweggenommen, schreibt die Berliner Zeitung. Um Krieg geht es auch bei dem Drama "The Forbidden Zone" bei den Salzburger Festspielen.
"Der Ring der Nibelungen" in Frank Castorfs "provozierender Regie" lasse keinen kalt, sagen die einen, und die anderen wissen schon genauer, wie sich die heißen Launen anfühlen: "So viel Hass, so viel Wut, so viel Rache" – offensichtlich geht es im Bayreuther Festspielparkett so herzlich zu wie damals, als die Nibelungen in die Schlacht ritten. Die Inszenierung ist vom letzten Jahr und interessiert uns nicht mehr.
Dagegen: Während noch im Hamburger Bahnhof in Berlin seine Ausstellung "Ernste Spiele" zu sehen ist, ist der Filmemacher, Essayist und Videokünstler Harun Farocki verstorben. In der Ausstellung konfrontiert er Computervideos, an denen amerikanische Infanteristen ausgebildet werden, mit Filmen, die die Folgen zeigen: den posttraumatischen Horror, dem die Kriegsheimkehrer nicht entkommen können. "Farocki war vieles und vieles gleichzeitig", schreibt Gregor Dotzauer im TAGESSPIEGEL. "Maoist, Dadaist, Situationist, Didaktiker, Konstruktivist und Dekonstruktivist" – was eigentlich schon eine ganze Menge ist für ein Leben, aber Farocki, so Dotzauer, war außerdem ein "Ethnograf kapitalistischer Lebenswelten".
"Lakonische Kassandra"
"Rollenspiele faszinierten ihn", erinnert sich Fritz Göttler in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, "in denen die Wirklichkeit ihren imaginären Charakter enthüllt." Ist sie denn "imaginär"? Oder ist sie nicht real grauenvoll?
Ingeborg Ruthe nennt in der BERLINER ZEITUNG den Künstler eine "lakonische Kassandra", weil er den Schrecken der aktuellen Kampfhandlungen in der Ukraine, im Gaza-Streifen und Afghanistan "in perfiden, virtuellen Filmszenen vorweggenommen" habe und sie endet bang mit der Frage: "Wer also wird Farockis Kamera nehmen und für ihn weitermachen?"
"Wie in Edelkitsch getunkt"
Krieg, Film und die Macht der Bilder sind auch die zentralen Themen in den Besprechungen des Dramas "The Forbidden Zone", das bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt wurde. Die Zuschauer sehen auf der Bühne die Kulissen und darüber eine riesige Videoleinwand, auf der in Nah- - oder für Gerhard Stadelmaier - Nahestaufnahme die Gesichter der Schauspieler in den Kulissen erscheinen. Es geht um Fritz Haber, den Giftgas-Erfinder von 1915, seine Frau und seine Enkelin Claire. Stadelmaier findet in der FAZ, die Figuren seien – "wie in Edelkitsch getunkt", sie seien "aus einem frauenkämpferischen, antiwilhelminischen Lore-Roman" und zu Claire fällt ihm ein, sie könnte "ganz gut aus einer Fernseh-Reihe á la Guido Knopp stammen: 'Enkelinnen unterm Eisernen Kreuz' – oder so ähnlich".
Christine Dössel in der SÜDDEUTSCHEN stört sich daran, dass der Zuschauer die ganze Zeit auf die Videoleinwand starrt und schreibt: "Technisch ist das spitzenmäßig gemacht, schauspielerisch absolute Präzision. Das Theater aber, mit seiner Lust an Sprache und Tiefe, muss schauen, wo es bleibt."
Die Gesellschaft braucht keine Zeitung-für-alle mehr
Die Auflage der Tageszeitung TAZ hat gegenüber dem Vorjahr 20 Prozent eingebüßt. Das ist ein guter Grund für das Feuilleton der TAZ, den Forscher Andreas Vogel zum Zeitungssterben zu befragen. Dessen These lautet, dass die bürgerliche Lebensform, mit der die Tageszeitung als Statussymbol verbunden war, nicht mehr existiert. Die Gesellschaft hat sich aufgespalten, sie braucht keine Zeitung-für-alle mehr. Das klingt wie eine Drohung für die TAZ, was der Kollege, der den Nachruf auf das Ableben der italienischen Zeitung L'Unità geschrieben hat, noch nicht weiß.
Nach 90 Jahren im Dienste der Linken seien 30 Millionen Schulden aufgelaufen, auf der Habenseite stünden nur vage Zukunftsversprechungen, jedoch – so die TAZ"Die größte Hypothek für die Zukunft ist, dass l'Unità die Leserschaft abhandengekommen ist". So weit, so nüchtern, dann fährt er süffisant fort: "Und das ist wohl noch schlimmer als der Tod der Unità: dass sie nur wenige vermissen werden." Wenn man selbst gerade 20 Prozent verloren hat, sollte einen dieser Satz nicht kalt lassen.
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