Aus den Feuilletons

"Der Hass zeigt seine Fratze“

Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern sind am 09.06.2013 an einer Gedenkstätte am Nordbahnhof in Berlin zu sehen.
Ein Hakenkreuz und ein durchgestrichener Davidstern waren 2013 an einer Gedenkstätte in Berlin zu sehen. © picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt
Von Tobias Wenzel · 27.07.2014
Im "Spiegel" setzt der israelische Politologe Zeev Sternhell auf die Kraft der Vernunft. Die "SZ", "FAZ" und "NZZ" diskutieren dagegen mit Linken-Hass in Israel und Antisemitismus in Europa Formen der Gegenaufklärung.
"Das einzige Instrument, die Zukunft zu gestalten und die Welt zu verändern, ist die Vernunft. Der Geist der Aufklärung stirbt nicht. Das ist meine Hoffnung.“
Der israelische Politologe Zeev Sternhell sagte das vor drei Wochen im SPIEGEL-Interview. Jetzt, da einem in den Feuilletons vom Montag die Gegenaufklärung, um nicht zu sagen: Verblödung, mit geballter Kraft anspringt, wünscht man sich etwas von Sternhells Kraft zur Hoffnung.
2008 verübten jüdische Siedler einen Anschlag auf das Haus Sternhells, weil der sich für den Frieden im Nahen Osten stark gemacht hatte. "Seit Wochen herrscht in Israel die Angst davor, sich als Linker oder Linke zu bekennen“, schreibt nun Alexandra Belopolsky in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Die Radikalisierung des Nahen Ostens habe nun auch die israelische Gesellschaft erfasst. Antikriegsdemonstranten seien zusammengeschlagen worden:
"Man hört einen Bericht, den man kaum glauben will: Einem Verletzten wurde in den Krankenwagen noch 'Jude oder Araber?' nachgerufen.“
Unterschiedlichste rechtsextreme Gruppen würden nun in Israel zusammenarbeiten. Über Facebook riefen sie zu Gewalt gegen linke Professoren, Journalisten und Friedensaktivisten auf.
"Von den Facebook-Hobby-Nahostexperten wünsche ich mir, dass sie sich wieder auf ihre Kernkompetenz besinnen: Essen fotografieren und Lanz kritisieren“, sagt der Stand-up-Comedian Oliver Polak, der Deutscher jüdischen Glaubens ist. Dem SPIEGEL erzählt er, die israelfeindlichen und antisemitischen Äußerungen im Internet und auf den Straßen der deutschen Großstädte seien schwer zu ertragen. "Wehret den Anfängen!“, sagt Polak. Und:
"Wenn es so abgeht wie gerade, grenzt das für mich an eine Art Emotions-Holocaust.“
Schlimme Erinnerungen werden wach
"Der Hass zeigt seine Fratze“ titelt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG zum Ausbruch des Antisemitismus in Frankreich und Deutschland. Rufe wie "Jude, Jude, feiges Schwein“ ließen schlimme Erinnerungen wach werden, schreibt Joachim Güntner, um dann zu differenzieren:
"Anders als in Frankreich sitzt in Deutschland wohl kein Jude wegen der jüngsten Ereignisse auf gepackten Koffern.“
Die jüdische Minderheit habe heute in Deutschland, im Gegensatz zu 1938, "Politik und Rechtsstaat fest auf ihrer Seite“. Allerdings hätten sich gefährliche "obskure Allianzen“ aus Linken, Menschen mit Migrationshintergrund und klassischen Rechtsradikalen gebildet.
Diese "merkwürdigen Konstellationen“ versucht der Münchner Soziologe Armin Nassehi in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zu erklären. Für diese unterschiedlichsten Gruppierungen sei Israel "eine ähnliche Bedrohung wie es Mendelssohn Bartholdy“ für Richard Wagner gewesen sei, der zugleich Juden gehasst und bewundert habe:
"Niemand kann ihnen [den Juden] verzeihen, dass ihr einziger Unterschied zu allen anderen darin besteht, dass sie gar nicht anders sind.“
So der Aufklärer Nassehi über den Antisemitismus, diese extreme Form der Gegenaufklärung.
Pressefreiheit in Hongkong stirbt
Andere Formen werden in weiteren Feuilletonartikeln reflektiert: Die FAZ berichtet darüber, wie die "Cheflobbyisten der Wissenschaft“ mit abstrusen Argumenten zu verhindern versuchten, dass Annette Schavan ihr Doktortitel aberkannt wurde.
In der TAZ erinnert der Soziologe Jörg Becker daran, wie Medien mit Hilfe von PR-Firmen erfolgreich manipuliert wurden und dass das weltpolitische Folgen hatte.
Ebenfalls die TAZ schreibt darüber, dass China mindestens einhundert Twitter-Accounts gefälscht hat, um ein friedliches Bild von Tibet zu vermitteln. In der SZ erfährt man, dass die Pressefreiheit in Hongkong, dem China eigentlich Autonomie zugesichert hat, stirbt.
Zum Schluss aber lieber noch etwas vom Geist der Aufklärung. Der SPIEGEL fragt Lemmy Kilmister, den Anführer der Heavy-Metal-Band Motörhead, der trotz seiner 68 Jahre und seines Herzschrittmachers nicht ans Aufhören denkt: "Sind Sie religiös?“ Seine Antwort:
"Dünne Geschichte, die christliche Religion. Jungfrau wird schwanger von einem Geist, bleibt aber Jungfrau. Sagt zu ihrem Mann, ich bin schwanger, Darling, aber mach dir keine Sorgen, ich bin ja immer noch Jungfrau. Menschen, die sich so benehmen, verdienen es, in einem Stall übernachten zu müssen.“
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