Aus den Feuilletons

Der Affe in uns

Ein Mensch und ein Orang-Utan Hand in Hand
Mensch und Orang-Utan reichen einander die Hand © dpa / picture alliance / MCT_/Landov / Tom Knudson
Von Gregor Sander · 01.09.2016
Für tiefgreifende genetische Veränderungen zwischen Affe und Menschen hätten die paar Millionen Jahre Entwicklung nicht ausgereicht, stellt die "NZZ" ernüchtert fest. "Menschen sind aus Affen", steht da, sie hätten sich einfach selbst domestiziert.
Der algerische Autor Kamel Daoud ist Gast der Ruhrtriennale. Sein Buch "Der Fall Meursault – Eine Gegendarstellung", der die Geschichte des ermordeten Arabers aus Albert Camus' Roman "Der Fremde" erzählt, wird nun in Essen auf die Bühne gebracht.
"Was kann die Kultur zum Kampf um die Freiheit beitragen?"
wird Daoud von Alex Rühle in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG gefragt und er rückt erstmal die Frage zurecht.
"Die Frage ist falsch formuliert: Der Kampf um die Kultur ist nicht irgendein Nebenscharmützel, er ist die zentrale Schlacht. Als Erstes zerstört der IS die Kulturgüter, nicht die Kasernen."
Und:
"Sie brauchen die Wüste, um ihr Regime aufziehen zu können. Wenn sie die Kultur zerstört haben, dann haben sie gewonnen, dann können sie machen, was sie wollen."

Algerischer Autor Kamel Daoud übt klare Kritik

So geht das Frage für Frage, nie hat man das Gefühl der Algerier weicht aus, wenn er etwa sagt:
"Wenn wir es nicht schaffen, die Rolle der Frau in der muslimischen Welt zu ändern, wird es dort auch keine andere Freiheit geben. Man kann keine freie Gesellschaft schaffen, wenn die Hälfte dieser Gesellschaft verschleiert ist, weggesperrt wird und kein Recht hat, seine Meinung frei zu äußern."
Ob diese Klarheit des Autors auch auf die Bühne kommt, wird man am Freitag in Essen sehen, wenn das Stück unter dem Titel "Die Fremden" uraufgeführt wird.
Ein Theaterstück seines Freundes Peter Handke hat Wim Wenders verfilmt. "Die schönen Tage von Aranjuez" feierte seine Premiere bei den Filmfestspielen in Venedig. Frank Olbert nörgelt in der BERLINER ZEITUNG:
"Trotz 3- D-Technik ist 'Die schönen Tage von Aranjuez' in der Hauptsache abgefilmtes, sprachlastiges Theater, mit einem Text obendrein, der als Selbstreflexion eines alternden Mannes über die Liebe nicht selten ein Fall für den Psychoanalytiker ist."

Bei Wenders werden Figuren zu Statuen

Auch Andreas Kilb von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG klingt reichlich bedient:
"Das 3D-Format, das schon dem letzten Film von Wenders, 'Everything Will Be Fine', einen Stich ins Aquariumshafte gab, wirkt bei dem stillen Stelldichein, um das 'Aranjuez' kreist, erst recht deplatziert. Statt der Tiefe, die es verspricht, verbreitet es Leere. Die Figuren werden zu Statuen. Die Räume härten aus."
Einzig Thomas Steinfeld zeigt sich in der SZ sehr angetan von diesem Film, in dem ein alterndes Paar im Garten sitzt und sich über die Liebe und den Sex unterhält. Steinfeld übt sich lieber in der Publikumsbeschimpfung:
"Wenn das Publikum es schwierig findet, sich zu sammeln, so ist es dessen Manko. Denn zum Nachdenken gibt es in diesem Film mehr als genug, in Worten wie in Bildern."
Nachgedacht hat Hans Widmer über den Affen in uns. In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG kommt er dabei zu ernüchternden Ergebnissen.
"Die wenigen Millionen Jahre seit der Abzweigung des Menschenstammes von jenem der andern Primaten haben für tiefgreifende genetische Veränderungen nicht ausgereicht."

Tierische Empfindungen im Kinosessel

Der Primat steckt eben noch in uns oder wie Widmer es sagt:
"Doch sind Menschen eben nicht Affen, sondern aus Affen. Menschen sind das Produkt, das sich aus dem Rohmaterial 'Affe' selbst domestiziert hat. Sie sind ebenso radikal verschieden vom Affen, wie sich Michelangelos David vom Marmorblock unterscheidet, aus dem er gehauen wurde."
Das ist doch ganz tröstlich und erklärt vielleicht trotzdem die fast schon tierischen Empfindungen, die Marie-Luise Goldmann von der Tageszeitung DIE WELT im Kinosessel hatte:
"Das Herz rast, und wie gebannt starrt man auf die Leinwand. Noch Tage später verfolgen einen diese Bilder, man will sie noch mal sehen, ist längst süchtig. Dabei muss man sich überrascht fragen, wie das möglich ist, ausgerechnet bei Szenen eines dörflichen Schafschurwettbewerbs."
Bleibt noch nachzureichen, dass es sich bei diesem Film um die neuseeländische Familiensaga "Mahana" handelt, und dass auch die Überschrift dieser Kinokritik tierisch ist. Aber tierisch gut oder tierisch peinlich? Entscheiden Sie selbst. Sie lautet:
"Wir schafen das!"
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