Aus den Feuilletons

Dauerreflexionen über Gewalt

Ein junger Mann hebt seine geballte Faust (Foto vom 11.01.2008)
Wenig freundlich ging es in letzter Zeit in den Feuilletons zu. © picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand
Von Arno Orzessek  · 21.02.2015
Gewalt und Terror waren diese Woche wieder die dominierenden Themen in den Feuilletons, die das Attentat von Kopenhagen genauso aufarbeiteten wie die Aggression der Terrorgruppe IS.
Auch in der zurückliegenden Woche diktierte der Terror den Feuilletons ihre Agenda mit Waffengewalt. In der Wochenzeitung DIE ZEIT hieß es im Vorspann eines Artikels:
"Kopenhagen, am vergangenen Samstag: 200 Schüsse eines Terroristen unterbrachen die Femen-Aktivistin Inna Schewtschenko, als sie über die Angst vor der Meinungsfreiheit sprach – [hier] das Manuskript einer ungehaltenen Rede."
Genauer müsste man sagen: einer entzwei geschossenen Rede. Unmittelbar vor den Schüssen jedenfalls bemerkte Schewtschenko:
"Wenn wir von Meinungsfreiheit sprechen, werden immer Leute sagen: 'Ja, wir alle sind für Meinungsfreiheit, aber…' Warum sagen wir immer aber?"
"An dieser Stelle [so fügte Schewtschenko nachträglich in Klammern ein] endete meine Rede in Kopenhagen im Kugelhagel."
In der ZEIT jedoch stand der komplette Text… Und der nächste, vom Kugelhagel erstickte Satz erinnerte an einen anderen, noch tödlicheren Kugelhagel und lautete – unheimlich genug:
"So erging es Charlie Hebdo."
Hier die letzte, nicht verlautbarte Passage der zerschossenen Rede:
"Die Meinungsfreiheit steht unter Beschuss durch Extremisten. Sie [liebe Zuhörer] sollten aber Ihre eigene Verantwortung nicht leugnen. Es ist Ihre Verantwortung, dass Sie sich der Illusion hingeben, Sie könnten das Recht auf Meinungsfreiheit genießen, ohne davon Gebrauch zu machen. Dies ist ein Kampf zwischen Dogmatismus und Liberalismus. Die greifen uns mit Kalaschnikows an, und wir müssen sie mit unseren Karikaturen, Losungen, entblößten Brüsten, Texten und Ideen bekämpfen."
Pathetisch-überzeugt: die ukrainische Feministin Inna Schewtschenko.
Von der öffentlichen Aufmerksamkeit inspiriert
Eine völlig andere Attentats-Perspektive nahm in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Thomas Steinfeld ein…. Zumindest im Blick auf den Provokateur und Künstler Lars Vilks, dem die Schüsse vermutlich gegolten hatten.
"Im Sommer 2007 [erläuterte Steinfeld] veranstaltete eine […] ländliche Gemeinde in Mittelschweden eine Kunstausstellung. 'Der Hund in der Kunst' hieß sie. Lars Vilks wird gewusst haben, was er tat, als er drei Zeichnungen […] einreichte, auf denen jeweils ein Hund mit dem Kopf des Propheten Mohammed zu sehen ist. […] [Vilks] machte keinen Hehl daraus, wie sehr ihn die öffentliche Aufmerksamkeit inspirierte."
Dass Vilks sofort nach dem Kopenhagener Attentat in den Medien wieder brüske Sprüche machte, fand Steinfeld inakzeptabel.
"Lars Vilks […] ist mit seiner nur durch seine [eigene] Person gedeckten Behauptung, Kunst sei die absolute Autorität, an die Grenze anderer Mächte gestoßen. Denn eine Kunst, in der alles Kunst werden kann, ist das Unpolitischste und Politischste zugleich, auch wenn sie Letzteres nicht wahrhaben will. Und was wäre, wenn der Attentäter genauso gedacht hätte, in dem Sinne nämlich, dass auch für ihn der Mord und das Begehren nach öffentlicher Erregung zusammengefallen wären?"
attackierte Steinfeld die simple Kunst-darf-alles-Ideologie.
Der dänische Schriftsteller Carsten Jensen machte in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG nicht so sehr den Attentäter noch den Provokateur für die Bluttat verantwortlich – sondern die Gesellschaft seines Landes.
"Als am Samstagnachmittag das Terrorattentat stattfand, war die fehlende Überraschung das Bemerkenswerteste an den Reaktionen […]. Alle hatten so etwas erwartet. […] Unsere Politiker haben uns darauf vorbereitet. Und wir haben die Einwanderer, Flüchtlinge und ihre Nachkommen in einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung darauf vorbereitet: Hinter dem Schleier, hinter dem Vollbart, innerhalb der Mauern der Moscheen seid ihr doch so. Die Gewalt liegt auf der Lauer – in eurer Religion, in eurer Kultur, in eurer Geschichte, in euren Zorn, in eurem Geist. [Das aber] ist bösartige, das Menschliche reduzierende Demagogie",
klagte Carsten Jensen in der FAZ.
Ist der islamische Staat rechtsradikal?
"'Die Lage eskaliert'", behauptete in der Tageszeitung DIE WELT der amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle, in dessen neuem Roman "Hart auf hart" der Amokschütze Adam im Mittelpunkt steht. Nicht nur deshalb traute die WELT Boyle die Beantwortung der Frage zu, ob der Islamische Staat rechtsradikal sei.
"Wenn wir hier von Faschismus sprechen, dann ja [antwortete Boyle]. Diese Islamisten sind einfach eine Gang mit herbeikonstruierten Grundsätzen. Ich habe oft darüber geschrieben: Was ist der Sinn unseres Lebens? Nun, es gibt keinen – deshalb gibt es Religionen. […] Jeder Fundamentalist scheint mir rechtsradikal zu sein. Sobald man an ihren Glaubenssätzen zweifelt, sind sie gezwungen, an sich selbst zu zweifeln. Wenn sie aber jedermann zu ihrem Glauben zwingen, wird ihr Glaube von jedermann bestätigt."
So T. C. Boyles Einschätzung. In der ZEIT pointierte der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk: "'Islamisten denken kindlich naiv.'" Indessen erklärte in der FAZ das Autoren-Dreigestirn Gerd Althoff, Thomas Bauer und Perry Schmidt-Leukel "Wie auch Christen und Buddhisten metzeln" und kam zu dem schiedlich-friedlichen Schluss:
"Gewaltbegründung ist […] weder ein Alleinstellungsmerkmal der Islams noch des Monotheismus. Er ist auch keine Besonderheit von Religion. Nur zu gut können auch säkulare Ideologien analoge Begründungsstrategien [für Gewalt] liefern. Ob eine Welt ohne Religion friedlichen wäre, ist daher mehr als fraglich." -
Fest steht: Ohne die Dauerreflexionen über Gewalt hätten sich die Feuilletons in der vergangenen Woche weitaus freundlicher gelesen. Die WELT titelte zum Beispiel in unmissverständlicher Euphorie "Ich komme, ich komme, süß durchströmt mich der Erde Saft"…
Feierte damit aber nicht – wie Sie jetzt vermutlich denken, liebe Hörer - die viel-beschmunzelte "Shades of Grey"-Verfilmung, sondern Christof Loys Inszenierung von Richard Strauss' "Daphne" in Basel. Falls Sie sich nun der blutigen Einrichtung der Welt zum Trotz einen sorgenfreien Sonntag machen wollen – die SZ hatte da einen praktischen Tipp. Sie titelte:
"Glück heißt Gedächtnisverlust."