Aus den Feuilletons

Das sexuelle Elend der arabischen Welt

Chaos im Schatten des Doms - Silvester 2015 in Köln
Die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht in Köln erklären sich für Kamel Daoud auch aus den überkommenen Traditionen in der arabischen Welt. © dpa / picture-alliance / Markus Boehm
Von Adelheid Wedel · 17.02.2016
"In den Ländern Allahs herrscht ein krankes Verhältnis zur Frau und zum Begehren", schreibt Kamel Daoud in der FAZ und wirft dem Westen Naivität in der Flüchtlingsfrage vor.
"Die Aufnahme der Flüchtlinge, der Asylsuchenden, die vor dem IS oder den jüngsten Kriegen fliehen, stößt im Westen auf einige Naivität."
Das schreibt Kamel Daoud in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Der 1970 geborene algerische Schriftsteller geht gegen diesen Missstand vor. Er fragt nach, was wirklich in Kölns Silvesternacht vorgegangen ist. Was traf dort aufeinander, an jenem "Ort der Wahnphantasien", wie er es nennt?
Diese beschreibt er als Phantasien "der Rechtsextremen, die über eine Invasion durch Barbaren schimpfen, und jene der Vergewaltiger, die den Körper nackt wollen, weil er ein 'öffentlicher' Körper ist, der niemandem gehört".
Der Autor ergänzt:
"In den Ländern Allahs herrscht ein krankes Verhältnis zur Frau und zum Begehren. Das muss jeder wissen, der über die Kölner Silvesternacht spricht und nicht naiv erscheinen will."
Daoud spricht in seinem Artikel in der FAZ vom "sexuellen Elend der arabischen Welt", das er aus der Religion erklärt. Dem folgt der wesentliche Gedanken:
"Man hat noch nicht verstanden, dass es beim Asyl nicht nur darum geht, 'Papiere' zu erhalten, sondern den Gesellschaftsvertrag der Moderne zu akzeptieren."
Der Autor befürchtet:
"Das für westliche Moderne so fundamentale Verhältnis zur Frau wird zumindest dem Durchschnittsmann unter den Flüchtlingen lange unverständlich bleiben."
An die Europäer gerichtet, gibt er zu bedenken:
"Man sieht den Überlebenden und vergisst, dass der Flüchtling in einer Kultur gefangen ist, in der das Verhältnis zu Gott und zur Frau eine wichtige Rolle spielt."
Deswegen bestehe die Aufgabe, nicht nur den Körper des Fremden aufzunehmen, ihm Papiere zu geben und ihn in eine Gemeinschaftsunterkunft zu stecken, sondern es gilt auch, "seine Seele von der Notwendigkeit der Veränderung zu überzeugen".

Hilfsprojekt für missbrauchte Frauen

Über ein außergewöhnliches Hilfsprojekt berichtet CHRIST UND WELT in der aktuellen Ausgabe der ZEIT. Dabei ist vor allem von Michael Blume die Rede. Der Religionswissenschaftler leitet die Stabsstelle für interkulturellen Dialog im baden-württembergischen Staatsministerium. Er war in den letzten Monaten zehn Mal im Irak und hat traumatisierte Frauen nach Deutschland geholt, die im Irak von Terroristen des IS missbraucht worden waren. Er hat sie in Kommunen und Klöstern untergebracht.
Was wie eine private Aktion aussieht, hat einen anderen Hintergrund. Michael Blume handelte mit Zustimmung aller Fraktionen im baden-württembergischen Landtag. Er sagt:
"Unser Recht sieht vor, dass die Bundesländer eigene Sonderkontingente auflegen dürfen. Es hatte nur noch keiner gemacht."
Als die Nachricht vom "Völkermord an den Jessiden" Europa erreichte und der Zentralrat der Jessiden um Hilfe bat, willigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann ein und schlug vor, 1000 hilfebedürftige Frauen und Kinder zu holen.
"Zunächst unter höchster Geheimhaltung nahm das Projekt seinen Lauf. Wir sind entkommen, sagen die Frauen. Wie, das sagen sie meist nicht."
Jetzt werden sie weitere Hilfe brauchen und finden in der christlich-muslimischen Gesellschaft, die Blume 1998 gründete, im Haus Abraham in Stuttgart, einem Dialogzentrum für Christen, Juden und Muslime.

Gesellschaftsdiagnose in der Literatur

"Die zeitgenössische Literatur macht die Gesellschaftsdiagnose wieder zu ihrem Kerngeschäft," behauptet Björn Hayer in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Er belegt die Behauptung anhand neuer Romane von Heinz Strunk, Thomas Melle, Angelika Klüssendorf, Anna Katharina Hahn und Marion Poschmann, die er lobt, weil sie sich "auf die künstlerische Suche nach jenen begeben, die weder in der sozialen Gemeinschaft noch in der Literatur eine Stimme hatten".
Seiner Meinung nach aber "eint all diese Bücher ihre fehlende politisch-gesellschaftliche Mitte". Das wiederum bringt Hayer zu dem Schluss:
"Während die Parteien in der jüngeren Vergangenheit die sogenannte bürgerliche Mitte zur heiligen Kuh verklärten, blieb unbemerkt, dass ein immer größerer Teil an den Rändern auszufasern begann."
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