Aus den Feuilletons

Das Feiern der Umlaute

Sängerin Balbina in Berlin
Sängerin Balbina während der Verleihung des Musikpreises Echo am 26.03.2015 in Berlin. © picture alliance / dpa / Foto: Jörg Carstensen
Von Arno Orzessek  · 23.04.2015
Balbina ist eine deutsche Nachwuchskünstlerin, die in Warschau geboren wurde. Ihr Pop-Album "Über das Grübeln" verführt den Musikkritiker der "Berliner Zeitung" zu Lobeshymnen. Allein wie das "Ü" intoniert und abgeschmeckt werde, sei Grund höchster Begeisterung.
"Ich neige ja sonst nicht zu Superlativen. Aber dies ist allerdings die tollste Platte, die der deutsche Pop seit sehr langer Zeit hervorgebracht hat",
eröffnet Jens Balzer in der BERLINER ZEITUNG eine gerade anfangs derart hingerissene, auf zutiefst ergeben gebeugten Knien grenzenlos euphorisch, buchstabentrunken und im Tonfall höherer, von allen guten Geistern inspirierter Narretei herausgejubelte Eloge auf Balbinas Album "Über das Grübeln"…
Dass wir hier – nach den oben zitieren Eingangssätzen – gern auch den dritten Satz der Balzer-Kritik zu Gehör bringen… Einen Satz, der übrigens den Eindruck erweckt: Balzer balzt! Er balzt mit der deutschen Sprache. Er balzt mit sich selbst als Pop-Kritiker. Und Balzer balzt mit der aparten Balbina – soweit das im Rahmen keuscher Zeitungszeilen möglich ist.
Nun aber – jener dritte Satz… Bei dem Sie, liebe Hörer, die Luft nicht anhalten sollten – aus Gründen, die Ihnen alsbald klar sein werden:
"(Balbinas Platte) spreizt sich nicht auf und sie plustert sich nicht, sie handelt von minderen Dingen und von winzigen Worten, von leichtfertig aus dem Bewusstsein gestrichenen Kleinigkeiten im Leben und von gedankenverlorenen Blicken ins Nichts, sie feiert die nicht verstreichen wollende Zeit und das Verlieren im Sich-vergessen und darüber hinaus auch überaus oft übersehene Umlaute wie beispielsweise das 'ü', ja, ich möchte fast sagen, allein für die Art, in der auf dieser Platte das 'ü' intoniert und abgeschmeckt wird, zerdehnt und verkostet, komprimiert und in alle Winde verstreut, würde ich einen kompletten Jahrgang sonstwie sich in den Vordergrund drängenden musikalischen Schaffens aus diesem Land bedenkenlos beim erstbesten Höker verkloppen."
So Jens Balzer unter der Überschrift "Lieder über das 'über' und über das 'ü'" über Balbinas Album "Über das Grübeln".
Im übrigen ist Balzers Artikel typisch für die aktuellen Feuilletons: Überall dominieren Besprechungen.
Apples neue Armbanduhr
In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG etwa bespricht Uwe Ebbinghaus die iWatch, Apples neue Armbanduhr.
"Die Apple Watch hilft dir, weniger zu sitzen. Sie spürt, wenn du aufstehst und dich etwas bewegst – und rechnet dir das an", heißt es in der Ikea-mäßig ranschmeißerischen Apple-Duz- und Werbe-Prosa, die Ebbinghaus Seufzen macht.
"Im Grunde ist das der reine Hohn. Da unterlassen die Digitalunternehmer über Jahre hinweg nichts, um den Menschen an die Sitzposition zu gewöhnen. Und kaum ist der Markt der Sitzcomputer gesättigt, wird plötzlich die rechtwinklige Haltung verteufelt (…). Zuerst kam Google Glass, das wegen seiner provokativen Kopfkamera im öffentlichen Raum als gescheitert gilt, und jetzt kommt die iWatch, die nach einer verbreiteten Schätzung schon mehr als zwei Million Mal bestellt worden sein soll und uns gründlicher überwachen wird als irgendein Computer zuvor",
warnt Uwe Ebbinghaus unter der Überschrift "Wir werden alle Stehaufmännchen" in der FAZ.
Chris Dercon kommt an die Berliner Volksbühne
Kein Stehaufmännchen, eher ein Platzhirsch auf dem Hochplateau der europäischen Kulturinstitutionen ist Chris Dercon.
Der amtierende Direktor der Londoner Tate Modern wird 2017 – nun steht’s fest! –
Intendant der Berliner Volksbühne, also Nachfolger von Frank Castorf.
Die Tageszeitung DIE WELT findet das prima, weil Dercon – so Swantje Karich –,
"…Ideen managen kann, aus den Leute das Beste herausholt, Freiräume öffnet, festgesetzte Strukturen aufreißt. Er mischt sich ein, wo er gebraucht wird, kann aber auch Mitarbeitern Autonomie gönnen – kein Gelehrter im Chefsessel, sondern einer, der beim Machen lernt."
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG hingegen motzt Jens Bisky:
"Das Problem liegt darin, wie diese Entscheidung getroffen wurde, als Verwaltungscoup nämlich. (…) (Kulturstaatssekretär) Tim Renner hat selbstherrlich entschieden (…). Hauptsache, was Neues."
Das dazu.
Zum Schluss noch eine Preisfrage für die Pfiffikusse unter Ihnen: Welches Gelage ist Kindern ein Vergnügen, Trinkern aber ein Gräuel? Na, na…?
Die richtige Antwort steht in einer SZ-Überschrift. Sie lautet: "Eistee-Gelage."
Mehr zum Thema