Aus den Feuilletons

"Das Absurdeste, was die Weltpolitik je erlebt hat"

US-Präsident Donald Trump hat ein umstrittenes Einreisedekret unterzeichnet (28. Januar 2016).
US-Präsident Donald Trump hat ein umstrittenes Einreisedekret unterzeichnet. © dpa / picture alliance / Pete Marovich
Von Tobias Wenzel · 02.02.2017
Die Stimmung gegenüber Menschen mit ausländischen Wurzeln sei feindseliger geworden, sagt der in Deutschland lebende irakische Autor Abbas Khider. Trumps Einreiseverbot für Bürger aus sieben Staaten gibt ihm das Gefühl, dass unsere Welt sich in eine Psychiatrie verwandelt.
"Sie […] saßen unter Saddam Hussein im Gefängnis und wurden gefoltert, flüchteten und fanden 2000 in Deutschland Asyl. Was sagen Sie dazu, dass Iraker nun von den USA, die Saddam stürzten, als Gefahr angesehen werden?", fragt Richard Kämmerlings von der WELT den Schriftsteller Abbas Khider. Der antwortet: "Ich habe das Gefühl, unsere Welt verwandelt sich in eine Psychiatrie, in der zahlreiche Patienten sitzen, die glauben, sie selbst wären die Psychiater." Trumps Einreiseverbot hält Khider für "das Absurdeste und Lächerlichste, was die Weltpolitik je erlebt" habe. So ständen einige Länder, Iran, Irak, Jemen, auf der Liste, die schiitische Staaten seien. "Aber die Terroristen wie al-Qaida, Isis und viele andere Gruppen sind sunnitische Organisationen. […] Wenn man ein Problem mit den Katholiken hat, soll man dann auf die Protestanten schimpfen?"
Khider besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, fühlt sich aber nicht akzeptiert: "Menschen schauen einen manchmal an, als wünschten sie einem den Tod", sagt er. Die Stimmung gegenüber Menschen "mit ausländischen Wurzeln" sei feindseliger geworden. "Ich erlebe das selbst. Nicht einmal im Monat, nicht einmal in der Woche, nein, beinahe täglich murmelt einem jemand etwas entgegen oder hinterher. Wenn man in einem Café sitzt, wenn man mit dem Bus oder der U-Bahn fährt."

"Türkei wird zum Unterdrückungsstaat"

Wohin man auch blickt: Die Feuilletons vom Freitag zeichnen ein düsteres Bild unserer Gegenwart. Yavuz Baydar zitiert in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG aus einem neuen Bericht der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation "Freedom House", der übersetzt lautet: ‚Populisten und Autokraten: Eine doppelte Bedrohung für die Demokratie‘. Darin heißt es: "In Folge der Entwicklungen des letzten Jahres ist es nicht mehr möglich, zuversichtlich über die lange Lebensdauer der EU zu reden; nicht davon, dass der amerikanischen Außenpolitik Demokratie und Menschenrechte wirklich wichtig wären […]." Die Türkei steht laut "Freedom House" auf Platz zwei der Länder, die sich kontinuierlich weiter von der Demokratie verabschieden: "Die Türkei befindet sich im freien Fall und verwandelt sich in rasender Geschwindigkeit in einen Unterdrückungsstaat", deutet Yavuz Baydar in der SZ die Studie.
"Weißrussland bekleidet in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen Platz 157 von 180", beginnt Friedrich Schmidt seinen Artikel für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG: über einen weißrussischen Journalisten, der über verstrahlte Milch im durch Tschernobyl verseuchten Gebiet berichtet hat und nun, vermutlich durch die Regierung veranlasst, wegen seiner (zu) ehrlichen Arbeit vor Gericht steht.
Ähnlich haarsträubend ist, was Kerstin Holm, ebenfalls in der FAZ, über ein russisches Gesetz schreibt, das wohl bald in Kraft treten wird. Demnach soll körperliche Gewalt in der Familie nicht mehr eine Straftat, sondern nur noch eine Ordnungswidrigkeit sein. "Zu den Lobbyisten des Gesetzes gehört auch die Russische Orthodoxe Kirche, die körperliche Züchtigung als einen traditionellen Vorzug russischer Kindererziehung betrachtet", schreibt Holm und nennt Zahlen: "In Russland werden jedes Jahr 12000 Frauen von ihrem Partner oder Verwandten getötet, 36000 werden täglich verprügelt."
Wenn die Realität so bedrückend wirkt wie eine Dystopie, dann besteht Albtraumgefahr. Also zum Schluss schnell noch etwas Aufmunterndes: Der anfangs zitierte irakischstämmige Schriftsteller Abbas Khider sieht uns zwar in dunklen Zeiten, in denen man sich wie Sisyphos fühlen könne. "Aber", sagt er im Interview mit der WELT, "wenn man die Geschichte in größeren Abschnitten betrachtet, ist unser Schicksal nicht das des Sisyphos, sondern das des Phönix. Menschen haben es immer geschafft, sich aus der Asche zu erheben. Das werden wir auch dieses Mal tun."
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