Aus den Feuilletons

Carolin Emckes gefährliche Rhetorik einer Predigerin

Die Publizistin Carolin Emcke erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Die Publizistin Carolin Emcke gestikuliert während ihrer Friedenspreisrede. © picture alliance / dpa / Arne Dedert
Von Hans von Trotha · 01.11.2016
Alexander García Düttmann kritisiert in der "FAZ" den rhetorischen Gestus von Carolin Emckes Friedenspreisrede. Vor allem an ihrer Formulierung "Wir können" stört sich der Berliner Philosoph.
Eigenartig harsch fielen die Reaktionen auf Carolin Emckes Friedenspreisrede aus. In der FAZ meldet sich jetzt der Berliner Philosoph Alexander García Düttmann zu Wort. Er wirft Emcke den rhetorischen Gestus einer Predigt vor, indem sie Sätze etwa immer wieder mit den Worten "Wir können" beginnen lässt.
Er selbst setzt dreimal auf ein im FAZ-Umfeld eher überraschend, vielleicht auch ein wenig anbiedernd daherkommendes "Wow":
"'Wow': Man kann sich von der Aussage einer Preisrednerin reizen lassen, sie hätte sich seit ihrer frühen Jugend Jahr für Jahr und ohne Fehl im Fernsehen die Übertragung aller Ansprachen angesehen, die frühere Preisträger gehalten haben. … 'Wow': Man kann sich über eine Preisrednerin wundern, die einerseits eine Liebe zu den 'Klangfarben des Humors und der Ironie' bekundet … , andererseits aber Humor und Ironie dem Pathos ihres Vortrags hintanstellt, der eher etwas von einem moralischen Appell oder Zuspruch hat … 'Wow': Man kann sich jedoch auch für eine Preisrede interessieren, weil sie beispielhaft eine Zweideutigkeit vorführt, die der Diskurs, der sich als demokratisch versteht, gegenwärtig erzeugt."

En dickes Loch ins falsche Brett

"Die gefährliche Zweideutigkeit des heute vorwaltenden demokratischen Diskurses" besteht nach Düttmann "darin, dass er stets bloß so tut, als gäbe es Unterschiede und ein 'universales Wir'. Ernst meint er es damit nicht. Er berauscht sich an sich selbst, sosehr er auch auf Andersheit oder Pluralität und Offenheit zu zielen vorgibt, die Schwierigkeit und den Konflikt keineswegs verneint. Man kann nichts gegen ihn einwenden, weil er jeden Einwand schon vorweggenommen und sich ein gutes Gewissen verschafft hat, aber nie im Ernst."
Möglich, dass Düttmann da ein dickes Loch ins falsche Brett zu bohren versucht. Wie dem auch sei, der Schwierigkeit, in einer überkomplexen Welt im Dauerregen der Hyperinformation eigene Position zu beziehen – also hier ein Wir, dort die anderen – stellt sich allenthalben, ja in den USA gerät die Demokratie darüber gerade in Gefahr, wie Malte Lehming im TAGESSPIEGEL berichtet:
"Enthüllungen, wilde Gerüchte, Desinformation: Trumps Wahlkampf stiftet Verwirrung mit System. … Seine Anhänger sind überzeugt davon, dass jede Entlarvung einer Trump-Lüge nur ein Teil der Kampagne gegen ihn ist. … Vor sechs Wochen analysierte das britische Magazin 'Economist' in seiner Titelgeschichte … die Nach-Wahrheits-Ära in der Politik. Das Zeitalter der Fakten sei vorbei. Durch das Internet sei eine atomisierte, unübersichtliche Quellenlage geschaffen worden, in der jeder Belege für alles finden kann. Dadurch fehlt im öffentlichen Diskurs das neutrale Korrektiv."

"Hat Donald Trump eine gespaltene Persönlichkeit?"

"Es muss", seufzt Annick Ramsel in der TAZ, "(und wird hoffentlich) ein Zufall sein, dass die Obama-Administration genau jetzt" (wo Trump aufholt) "ankündigt, was nach dem Ausscheiden des Präsidenten mit seinem digitalen Nachlass passiert."
Ramsel erläutert:
"Zu Amtszeiten Obamas bekam nicht nur das Weiße Haus eine YouTube-, Facebook- und (fügen Sie hier ein Netzwerk ihrer Wahl ein)-Seite. Auch gingen der Präsident … und die First Lady …offiziell bei Twitter online."
Und da begegnen sie bekanntlich ständig Trump, und zwar so, dass sich Christoph von Marschall im TAGESSPIEGEL fragt: "Hat Donald Trump eine gespaltene Persönlichkeit? Gibt es zwei Donald Trumps? Oder hat er womöglich einen Doppelgänger, der ihn zu imitieren versucht?"
Nun würde Christoph von Marschall so etwas nie fragen, wenn er nicht eine seriöse Antwort darauf hätte. Sie lautet: "Bis etwa 20 Uhr abends twittert eine Sie oder ein Er aus Trumps Mitarbeiterstab und benutzt dafür ein iPhone. … Ab 21 Uhr und in den frühen Morgenstunden twittert der Meister höchstpersönlich – von seinem Android-Gerät. …Er hat die Nutzung unterschiedlicher Geräte so erläutert: Auch die Tagsüber-Tweets stammten von ihm, aber 'ich rufe sie einer der jungen Ladys im Büro zu'. Dieser Hinweis erklärt allerdings nicht, warum die Tweets vom Android-Gerät bis zu 80 Prozent mehr Worte enthalten, die Ärger, Ablehnung, Überdruss und andere negative Emotionen ausdrücken."
Was bleibt einem angesichts solch detektivischer Kleinstarbeit in der Welt der sozial verbreiteten Überinformation noch anderes zu sagen als vielleicht höchstens: Wow.
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