Aus den Feuilletons

Auf der Suche nach der deutschen Identität

Hausschuhe warten am Dienstag (07.12.2010) in der Einkaufstraße in der Altstadt von Stralsund auf Kunden. Foto: Stefan Sauer | Verwendung weltweit
Hausschuhe auf einem Markt in der Altstadt von Stralsund © dpa-Zentralbild/Stefan Sauer
Von Klaus Pokatzky · 16.09.2016
Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft - oder doch Gartenzaun und Puschen? Nach der Rede von Angela Merkel im Deutschen Bundestag geht die Debatte um die Identität der Deutschen in den Feuilletons weiter. Aber auch die Raumpatrouille Orion spielt eine Rolle.
"Identität ist ein heisses Eisen." Das lesen wir in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG – die den Satz unserer Bundeskanzlerin unter die Lupe nimmt:
"Deutschland wird Deutschland bleiben – mit allem, was uns daran lieb und teuer ist."
Und was genau? "Als Angela Merkel konkretisierte, was den Deutschen an ihrem Land lieb und teuer sei, nannte sie Liberalität, Demokratie, den Rechtsstaat und die soziale Marktwirtschaft", schreibt Joachim Güntner und fragt: "Ist das den Bürgern zu wenig, um sich als Deutsche zu definieren?" Die Antwort der NEUEN ZÜRCHER:
"Es fehlen Angaben zu Herz und Gemüt, Geschichte und Charakter. Die eigentlich kulturelle Identität der Deutschen ist damit nicht erfasst."

"Der Gartenzaun gehört zu Deutschland"

Dann suchen wir mal unsere Identität. "Der Gartenzaun gehört zu Deutschland". Das erfahren wir aus der Tageszeitung TAZ. Und was noch? "Hausschuhe", sagt Ingo Zamperoni im Interview – der ARD-Korrespondent in Washington war und ab Oktober die "Tagesthemen" moderieren wird. "Wir Deutschen bauen ein Haus und ziehen dann bis zur Rente nicht mehr um. Denn wir haben ja gebaut!", sagt der Sohn einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters – und erklärt dann, was noch deutsch ist:
"Dass Deutsche manchmal etwas besserwisserisch rüberkommen. Das gilt nicht für alle und jeden, aber kulturell gibt es die Tendenz, genau zu wissen, wie etwas zu sein hat. Und sei es, dass man an einer roten Fußgängerampel zu stehen hat, selbst wenn weit und breit kein Auto kommt."
Das gehört aber auch zu uns: "Lucia Lucas ist eine Transfrau", steht in der Tageszeitung DIE WELT über eine Sängerin am Staatstheater Karlsruhe, die als Mann geboren wurde – und nach ihrer Geschlechtsumwandlung ihre Stimme behalten hat. "Im Beruf bleibt Lucia ein Bariton", schreibt Manuel Brug: "Der Karlsruher Generalintendant Peter Spuhler, selbst offen schwul, hatte grenzenloses Verständnis für den Geschlechtswechsel seines geschätzten Baritons." Typisch deutsch eben.

Raumpatrouille Orion - "ein Zeitfenster in kommende Zeiten"

"Was heute noch wie ein Märchen klingt, kann morgen Wirklichkeit sein." Der Berliner TAGESSPIEGEL wirft einen Blick ein halbes Jahrhundert zurück – meint mit seinem Zitat aber nicht, wie es sich angefühlt hätte, wenn 1966 ein Bariton auf die Idee gekommen wäre, sich zur Frau umoperieren zu lassen. Das märchenhafte Zitat leitete einst immer eine Fernsehsendung ein. "Vor 50 Jahren, am 17. September 1966, landete das westdeutsche Nachkriegsfernsehen mit der 'Raumpatrouille Orion' einen seiner größten Erfolge", schreibt Joachim Huber.
"Sie wirkte wie ein Zeitfenster in kommende Zeiten. In seiner kühlen Schwarz-Weiß-Harmonie war das ‚Starlight Casino‘ auf dem Grund des Meeres die Abkehr vom ‚Gelsenkirchner Barock‘, und der Kampf der ‚Orion‘-Crew gegen die ‚Frogs‘ war die lange erhoffte Alternative zum ewigen Karl-May-Duell zwischen Indianern und Cowboys."
Danke Commander McLane, danke Sicherheitsoffizierin Tamara Jagellovsk!
"Warum Deutschland Thomas Manns Exilvilla in Kalifornien kaufen muss", erklärt uns der SPIEGEL. Dem Haus in Los Angeles, in dem der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann während seines Exils in den USA gelebt hat, droht ja der Abriss. Und jetzt sammeln Kulturschaffende – wie die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller – Unterschriften für eine Petition an die Bundesregierung, damit diese das Haus rettet:
"Im Umgang mit den antihumanistischen Kräften, die sich jetzt vielerorts in Europa regen, auch bei uns, sollten wir die Bedeutung von Symbolen für die Selbstbehauptung der Demokratie nicht geringschätzen",
schreibt im SPIEGEL der Autor und Filmemacher Lars Brandt. "Der Ankauf von Thomas Manns Haus in Kalifornien, von dem aus er Hitler widersprach, würde uns ein solches Symbol erhalten."
Kulturelle Identität eben, Angela Merkel. Commander McLane würde jetzt sagen:
"Haben wir uns verstanden?"
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