Aus den Feuilletons

Auf dem Weg zu einer islamistischen Internationalen

Zwei traditionell gekleidete katarische Bürger stehen an der Uferpromenade der Hauptstadt Doha und blicken auf den Persischen Golf.
Zwischen Tradition und Moderne - auch in Katar © DLF / Thorsten Gerald Schneiders
Von Adelheid Wedel · 23.01.2015
Im Zusammenhang mit den Pariser Attentaten befragt die "taz" den algerischen Schriftsteller Boualem Sansal. Er glaubt, dass der Islam nach einem jahrhundertelangen Schlaf zuletzt wiedererwacht sei. Dabei gebe es zwei wichtige Strömungen.
Wer auf Intelligenz setzt, braucht Zeit, ist das Fazit eines Interviews, das Reiner Wandler in der Tageszeitung TAZ mit Boualem Sansal führt. Der algerische Schriftsteller spricht über das Anwachsen des Extremismus: Bei dem Attentat auf Charlie Hebdo handelte es sich – seiner Meinung nach - weder um eine Einzelaktion noch um ein völlig durchorganisiertes Verbrechen. Er glaubt, dass wir vor einem längeren Prozess stehen und sagt, der Islamismus sei mittlerweile überall auf der Welt verankert:

Die radikalen Islamisten haben ihren globalen Zusammenhang, sie tauschen sich über das Internet aus. Die Nationalität spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle. Wir stehen vor einer islamistischen Internationale, befürchtet Sansal.
Der Islam ist wiedererwacht
Der Islam sei nach Jahrhunderte langem Schlaf wieder aktiv. Dabei unterscheidet Sansal zwischen zwei Strömungen: Die einen wollen einen offenen, modernen Islam, sie wollen aus dem traditionellen Islam ausbrechen. Die andere Strömung hat eben diesen traditionellen Islam und das Projekt der Eroberung erneut aufgenommen. Es geht ihnen darum, die ganze Welt zu islamisieren.

Welche der beiden Strömungen wird sich durchsetzen, wird Sansal gefragt. Er antwortet: Langfristig die Aufklärer, die Modernisierer. Angesprochen auf den Beitrag des Westens gegen die Auswüchse der Gewalt, gibt der Autor zu bedenken: Der Westen müsse seine humanistischen Ideen und Prinzipien verteidigen. Aber genau da liege das Problem: Europa scheint keine Prinzipien, keine Ideen mehr zu haben. Für was und für wen sollen wir kämpfen, fragt er. Für den Profit der Banken? Und wen verteidigen wir? Es gibt nichts mehr, wovon man träumen kann. Ohne Ideale und Prinzipien ist es schwer zu kämpfen, unmöglich zu gewinnen.
Theater-Inszenierungen - wenig geeignet fürs Netz
Der TAGESSPIEGEL macht schon mit seiner Überschrift /rgendwas mit Internet deutlich, was er von Kulturstaatssekretär Tim Renners Vorschlag hält, die Theater sollten ihre Inszenierungen ins Netz stellen. Peter Laudenbach fragt prompt: Was bringen abgefilmte Inszenierungen? Und: Warum sollten Dramatiker die Rechte an ihren Stücken verschenken?

Laudenbach belegt an Beispielen, dass die Wirklichkeit etwas komplizierter ist als in Tim Renners Popularisierungsvisionen. Selbst wenn hinter dem Vorschlag der Wunsch: Kultur für alle steht, dürfte sich die animierende Wirkung semiprofessionell abgefilmter Theateraufführungen auf Youtube in Grenzen halten.
Ein weiterer Einwand: Je avancierter eine Inszenierung als Theater-Kunstwerk ist, desto weniger eigne sie sich für die mechanische Übertragung ins andere Medium. Dass sich Theater nicht ohne massive Verluste reproduzieren lässt, könnte sich also gerade als Stärke erweisen.

Der Autor verweist auf die Gier nach Face-to-Face Kommunikation, nach Begegnungen mit echten Menschen und unverpixelten Gesichtern. Das wird mit wachsender Mediennutzung größer und nicht kleiner werden. Den Beweis liefere der Musikmarkt. Hier gewinnt das Liveerlebnis im Kontrast zu digitalen Angeboten immer mehr an Attraktivität. Fazit:

Statt die Theater aufzufordern, einfach ihre Premieren abzufilmen, sollte die Kulturpolitik experimentierfreudige Theater-Medien-Kunst großzügiger ermöglichen.
Theater im jugoslawischen Sozialismus
Erinnerungen, Zitat, an unser unmögliches Theaterleben im jugoslawischen Sozialismus breitet Bora Cosic in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG aus. Der 1932 geborene serbische Schriftsteller denkt über die Epoche nach, in der sich zum großen Teil sein Leben abspielte:

Der Sozialismus äußerte sich ohnehin als schizophrene Erscheinung. Der Mensch sollte besser leben, aber gleichzeitig standen der Verbesserung auf Schritt und Tritt Hürden im Weg. Sie betrafen nicht nur materielle Mängel, die Mängel waren auch geistiger Natur.

Dennoch bescheinigt er dem jugoslawischen Sozialismus im Vergleich zum Ingrimm der Verhältnisse im Ostblock etwas Verspieltes. Cosic entlässt uns beim Rückblick auf sein Leben mit einem Bild:

Die Kommunisten sind ein Volk der Improvisation, das dies probiert, dann das, das Leben wird zur Vorpremiere, zur Probe.
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