Aus den Feuilletons

Atmen und Seufzen in der Elbphilharmonie

Tänzer von Sasha Waltz tanzen im Foyer der Elbphilharmonie Hamburg.
Tänzer von Sasha Waltz proben für die Aufführung von "Figure Humaine - eine choreografische und musikalische Raumerkundung der Elbphilharmonie Foyers" Anfang Januar 2017 © picture alliance / dpa / Axel Heimken
Von Ulrike Timm · 02.01.2017
Begeistert schreibt die "Taz" über Sasha Waltz' Choreografie in der Elbphilharmonie Hamburg vor deren offizieller Eröffnung. Sie schwärmt auch von dem Teil, bei dem es darum ging, der Stille zuzuhören - und nennt das Bauwerk liebevoll bei seinem Spitznamen.
"Achtung, echte Menschen!" warnt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Autor Bernd Stegemann sorgt sich ums Theater.
"Soll auf der Bühne performt werden oder soll durch Schauspielkunst eine zweite, fiktionale Wirklichkeit erscheinen? Sollen echte Menschen auftreten, die authentisch ihre Biographie verkörpern? Oder sollen professionelle Menschen, wie George Tabori einst die Schauspieler nannte, fremde Figuren erspielen?"
Ja, wie soll es denn nun sein? Der Essay stellt sich jedenfalls klar auf die Seite der Schauspielkunst – und hält nix von realem Kochen, Essen und Schreien auf der Bühne zwecks Authentizitätsvergewisserung.
"Mit Niklas Luhmann könnte man darauf entgegnen: Immer wenn echte Menschen auf der Bühne sprechen, ist Dilettantismus im Spiel."
Nicht zuletzt auf der Suche nach einer Einschätzung zum Streit um die Münchner Kammerspiele folgt man dem Artikel in der SÜDDEUTSCHEN, ein Streit, der sich eben daran entzündete, ob man dort mehr performen oder wieder mehr figurenerschaffend theatern solle… Kommt aber nix. Wieso? Das findet sich im Abspann. Der Text bezieht sich auf ein Buch, das dieser Tage erscheint – macht also auch ein bisschen Werbung.

Kulturgeschichte des Diventums

Das neue Jahr kommt recht langsam in Schwung, und so nehmen sich die Feuilletons Zeit für gut geschriebene, dabei aber eben auch gut abgehangene Preziosen. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG tut das mit Lust – eine ganze Seite samt Luxusfoto der großen Theaterschauspielerin Sarah Bernhardt, die sich um 1900 perfekt in Szene setzte und auf der Bühne weder kochte noch aß, und die als Tragödin nicht ihr eigenes Leid klagte, sondern das der Figuren großer Dramendichter.
Ums "Alphabet der Diva" geht's, um die "Unsterblichkeit eines Anachronismus in Zeiten des massenhaften Auftretens von Stars und Sternchen". Die NEUE ZÜRCHER buchstabiert es "D wie Décolleté", "I wie Intelligenz", "V wie Verführung" und "A wie Anhang", und spaziert dann in Siebenmeilenstiefeln durch die Kulturgeschichte des Diventums von Cleopatra bis ZsaZsa Gabor. Haften bleibt das Zitat einer unstrittigen Diva, der großen Operndarstellerin Maria Callas nämlich: "Ich bin frei, weil ich keine Konzessionen mache."
Manchmal wünschte man sich ja, das kriegten nicht nur Diven hin.

Hingerissene Schwärmerei beim linken Zeitungsflaggschiff

Letztlich keine Konzessionen machte Hamburg beim Bau der Elbphilharmonie, durch deren Foyers – kurz vor der offiziellen Eröffnung – Sasha Waltz ihre Tänzer so anmutig wie wirkungsvoll hindurch choreografierte. TAGESSPIEGEL wie TAZ waren dabei und sind hell begeistert.
"Eine Aufführung als Führung", so der TAGESSPIEGEL. Es geht durch alle Stockwerke bis in den Großen Saal, wo man John Cages 4.33 gibt – jenes Musikstück, schlicht "tacet" überschrieben, bei dem nichts klingt, außer den Geräuschen, die Menschen fabrizieren, wenn sie der Stille zuhören. Denn vor der eigentlichen Eröffnung soll aus dem Großen Saal des neuen Konzertschiffs kein Musik-Mucks zu hören sein. Atmen und Seufzen ist aber erlaubt, und höre da:
"Die Stille klingt wunderbar".
Begeistert gibt sich auch die TAZ, die "Elphi atmet!" titelt, und weiter schreibt:
"Scheinen diese hölzernen Stufen und das Parkett nicht für nackte Füße gemacht? So wie das gerundete Holz der Brüstungen dem Körper entgegenschmeichelt, sich darüber zu lehnen."
Hoppla, so viel hingerissene Schwärmerei hätten wir beim linken Zeitungsflaggschiff gar nicht erwartet, blättern weiter - und plumpsen wieder tief zu Boden.
Die Londoner "Love and Sex with Robots"-Messe – so heißt sie wirklich – diese Messe will mit einer Neuerung punkten, einem Handy-Aufsatz nämlich, der "kussechtes Knutschen auf Distanz" ermöglicht.
Ja.
"Verbal-digitale" Intimitäten, ein Sensor übersetzt das Ausgangsbusserl in Einsen und Nullen und überträgt den Kuss so zum Empfänger, dass der die Intensität des Knutschers erfühlen kann.
Ist das nun performt oder theatert? Egal.
"Mit Zunge", das ist eh nicht drin.
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