Aus den Feuilletons

"Alle Klassik ist politisch"

Die Sopranistin Diana Damrau singt beim Festival der Nationen in Bad Wörishofen.
Große Kunst in großer Garderobe - die Kunst der Klassik ist ein teures Vergnügen © picture alliance / dpa / Karl-Josef Hildenbrand
Von Adelheid Wedel · 30.01.2015
Die Finanzierung der Orchester, die Bespaßung der Komponisten und die Abendgarderobe - Klassik war früher ein teures Vergnügen, dass sich nur die Herrschenden leisten können, klärt die "SZ" auf und überprüft, ob das auch heute noch gilt.
"Spektakuläre Symbiosen zwischen Macht und Musik sind nicht die Ausnahme, denn" – so verkündet Reinhard J. Brembeck in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG"alle Klassik ist politisch."
Der Autor liefert Beispiele für diesen Zusammenklang. Ausgangspunkt seiner Feststellung:
"Klassische Musik ist ein teurer Spaß, dessen Finanzierung sich nur die Herrschenden leisten können. … Deshalb war es für Klassikkünstler schon immer ratsam, sich mit der aktuellen Regierung gut zu stellen. Das galt im frühen Mittelalter genauso wie für Musiker der Neuzeit. Dabei", so räumt Brembeck ein, "variieren die Grade der Anbiederung. Manche warfen sich dem Nationalsozialismus hemmungslos in die Arme, so Elly Ney, Herbert von Karajan oder der Nazi-Sympathisant Karl Böhm. Auch Wilhelm Furtwängler dirigierte am Vorabend von Hitlers Geburtstag, verstand die Unterwerfungsgeste aber als Rettung der Hochkultur in barbarischen Zeiten."
Relativ neu und seltener sei hingegen der Typ des systemkritischen Musikers, schreibt Brembeck. Als Prototyp dafür nennt er den Jahrhundertcellisten Pablo Casals,
"der sich weigerte, in Diktaturen oder autoritären Staaten aufzutreten. Er bekämpfte Unterdrückung und Unfreiheit mit Cello, Taktstock, Reden und Artikeln. Im nazibesetzten Frankreich schlug er eine Konzerteinladung nach Berlin aus."
Auch Komponisten treten mit ihren politischen Aussagen in Erscheinung. Schostakowitsch zum Beispiel wurde von den Sowjets gezwungen, auf die Avantgardetendenzen in seiner Oper "Die Nase" zu verzichten, berichtet der Autor. Er sollte romantischer schreiben und revanchierte sich, indem er in unendlich tristen und sinnentleerten Tableaus die Realität des Systems vorführte. Brembecks Fazit: "So lässt sich jede Musik politisch verstehen – der Hörer muss nur genügend Phantasie mitbringen."
Blick zurück: der Blasphemie-Paragraph 166
Ganz offenkundig politisch waren die Arbeiten von George Grosz. "Er hat in den zwanziger Jahren einen Jesus gezeichnet, an den sich ähnliche Fragen heften wie an die Mohammed-Karikaturen von 'Charlie Hebdo'", meint Ursula Scheer in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
Sie erinnert an den Blasphemie-Paragraphen 166 in Deutschland, der heute "den öffentlichen Frieden schützen soll." 1928 hingegen sollte der Gotteslästerungs-Paragraph "religiöse Bekenntnisse vor Beschimpfungen" in Schutz nehmen. In Berlin stand Grosz vor Gericht, angeklagt der Blasphemie.
Er hatte den gekreuzigten Jesus mit Gasmaske und Soldatenstiefeln gezeigt. Als Soldat hatte der Künstler erlebt, "wie Geistliche beider großen christlichen Konfessionen Waffen segneten und in ihren Predigten den Krieg heiligten." Grosz sagte vor Gericht aus, "er habe Christus nicht schmähen, sondern in zeitgenössischer Form mitleidend zeigen wollen."
Ursula Scheer zieht für sich das Fazit: "'Jesus mit der Gasmaske' hilft uns nicht weiter, die Konflikte um Mohammed-Karikaturen zu verstehen. Aber er zeigt, warum wir vielleicht die falschen Fragen an sie stellen."
Die Wochenendfeuilletons gratulieren zwei Weltbürgern. In der BERLINER ZEITUNG nennt Arno Widmann Alfred Grosser, "einen der Motoren der deutsch-französischen Verständigung: einen Lausbub für die Aufklärung." Grosser wird am 1. Februar 90 Jahre alt. "Er hat", so Widmann, "Frankreich die Deutschen, den Deutschen die Franzosen und beide einander erklärt. Er tat es unermüdlich und – fast – immer lächelnd."
Zum 80. Geburtstag des japanischen Literaturnobelpreisträger Kenzaburo Oe zeigt ihn der TAGESSPIEGEL bei einer Anti-Atomdemonstration im vorigen Jahr in Tokio.
In diesen Tagen erscheint im S. Fischer Verlag Oe‘s Autobiografie "Licht scheint auf mein Dach" auf Deutsch. Darin gibt er eine Weisheit seines Französisch-lehrers weiter, der den Humanismus der Renaissance so charakterisierte:
"Nicht zu viel Verzweiflung, nicht zu viel Hoffnung."
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