Aus den Feuilletons

"All You Need Is Love"

Putin-Plakat bei einer Demonstration in Berlin.
Putin-Plakat bei einer Demonstration in Berlin. © picture alliance / AP Images / Gero Breloer
Von Tobias Wenzel · 19.04.2014
Die zurückliegende Feuilleton-Woche war voller Gewalt und Sex. Auch die Ereignisse in der Ukraine und Wladimir Putins Rolle dominierten weiterhin die Zeitungen. Für Aufsehen sorgte ein österlicher Dreiteiler.
"Hurensöhne, ficken, Pimmel, Schwanz, Schwuchtel, knallen, lecken, Lesbentittengesauge", schrieb Jürgen Kaube in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Allerdings nicht, weil er unter dem Tourette-Syndrom leidet, sondern, wie er glaubt, der deutsch-türkische Autor Akif Pirinçci.
Jedenfalls stammen die Wörter aus dessen populistischem Schimpftiraden-Buch "Deutschland von Sinnen". "Wir bitten fürs unumgängliche Zitieren um Nachsicht", entschuldigte sich Kaube bei seinen Lesern. In einer Feuilleton-Woche, in der es allerdings nur so von Gewalt und Sex gewimmelt hat. Anders erklärte Friedrich Küppersbusch in der TAZ die böse Kraft des pöbelnden, homosexuellenfeindlichen Pirinçci. Der ist durch Bücher bekannt geworden, in denen eine Katze als Detektiv ermittelt. Dazu Küppersbusch: "Ich sage nur: Katzenkrimis. Unterschätzte Gattung. Der schmale Grat von Katze zu Kotze und so. Wie auch Lewiratschoff, die erst pöbelt und nun katzenkrimit."
"Wer hat den Größten, kann am längsten, tut es am lautesten?", fragte Manuel Brug in der WELT und spielte auf den zeitgleichen Opern-Auftritt drei großer Dirigenten am vorangegangenen Samstag an: Simon Rattle mit "Manon Lescaut" in Baden-Baden, Christian Thielemann mit "Arabella" in Salzburg und Daniel Barenboim mit "Tannhäuser" in Berlin.
"Sieben Jahre lang hat der sterbliche Liedermacher Tannhäuser mit der unsterblichen Pornoqueen Venus durchgevögelt, jetzt kann er nicht mehr", schrieb Reinhard J. Brembeck in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über Wagners Oper und zeigte sich begeistert von der musikalischen Umsetzung durch die Berliner Staatsoper: "Und dann ist da Barenboim, Barenboim, Barenboim. Sein ‚Tannhäuser' hat Weltklasse." "Wahrlich, ein Fest!", freute sich auch Jan Brachmann in der FAZ: "Und dann Peter Seiffert als Tannhäuser! Sechzig Jahre soll dieser Mann dem Papier nach schon zählen, singt aber wie ein strahlender Frühdreißiger."
Mit Baseballschlägern attackiert
Ein Spätdreißiger ist der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan. Und von "strahlen" kann so gar nicht die Rede sein. In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG berichtet Zhadan, was er in den letzten Wochen in der Ostukraine erlebt hat.
Er nimmt das Wort "Bürgerkrieg" in den Mund und versucht sich die Straßenschlachten zu erklären: "Es ist die Angst, die dich aggressiv macht. Es ist die Verunsicherung, die dich dazu bewegt, in jemandem einen Feind zu sehen, dem du bisher Hunderte Male in der U-Bahn oder im Supermarkt begegnet bist." Ein befreundeter Musiker habe auf einer Demonstration "All You Need Is Love" gesungen und sei kurz darauf von prorussischen "Schlägertypen mit Baseballschlägern" attackiert worden.
Die russischen Medien hätten das vollkommen verdreht, propagandistisch wiedergegeben. Kerstin Holm wies, ebenfalls in der FAZ, schon zu Wochenbeginn darauf hin, dass in der Moskauer Metro neuerdings "fröhliche Marschmusik" gespielt wird.
"Wer nicht jubelt, ist ein Volksfeind", schrieb die weißrussische Friedenspreisträgerin Svetlana Alexijewitsch in derselben Zeitung über die Lage in Russland. "Das stalinistische Vokabular ist vollständig wiederhergestellt: Verräter, Abtrünnige, Helfershelfer der Faschisten." Ihr komme es so vor, als ob sich Russland im Kriegszustand befände: „"m Fernsehen wird gedroht, Amerika in Nuklearstaub zu verwandeln, und die Möglichkeit erwogen, ganz Europa zu besetzen."
Putin habe die Welt, die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Frieden gefunden habe, in die Luft gesprengt: "Die Welt wird nie mehr die gleiche sein."
Nächtliche Erektionen und Ergüsse
"Haltet alle Uhren an", forderte Paul Ingendaay in der FAZ anlässlich des Todes von Gabriel García Márquez, dem kolumbianischen Literaturnobelpreisträger: "García Márquez [...], der die Phantastik und das Wunderbare rehabilitierte, war ein Mythenstifter." Und ein Autor, der die Weltliteratur revolutioniert habe, vor allem mit seinem Roman "Hundert Jahre Einsamkeit". "100 Jahre Trauer" titelte Marko Martin im Feuilleton der WELT und erinnerte – da war sie wieder, die Gewalt – an den "wohl berühmtesten Faustschlag der Literaturgeschichte. [...] Mario Vargas Llosa versetzte seinem etwas älteren Kollegen [...] jenen inzwischen ebenfalls ins Legendäre entschwundenen Schlag, der beide auf Lebenszeit entzweien sollte. Ging es um eine Frauengeschichte oder um politische Differenzen?"
Marko Martin spielte damit auch auf Freundschaft an, die den linken García Márquez mit Fidel Castro verband, was wiederum der konservative Vargas Llosa öffentlich kritisierte.
Wenn Max Weber jemandem ein blaues Auge geschlagen hätte, dann garantiert wegen politischer Differenzen und ganz sicher nicht wegen einer Frauengeschichte. Der vor 150 Jahren geborene Denker hatte nach Einschätzung seines Biografen Dirk Kaesler keinen Sex. Und das, obwohl er verheiratet war. Aber: "Weber hatte nächtliche Erektionen und Ergüsse, oft drei-, viermal pro Nacht, wie wir aus Aufzeichnungen wissen", verrät Kaesler im neuen SPIEGEL. "Dass er am nächsten Morgen seiner Frau davon wie von einem klinischen Befund berichtet, ist ziemlich bemerkenswert. [...] Es ging so weit, dass sie ernsthaft überlegten, ob er sich kastrieren lassen sollte."
"Adolf klingt einfach nich schön"
Na, schon Ostereier versteckt? Oder einen österlichen Film gesehen? Wie wär's mit einem Dreier, ähm, nee, mit einem Dreiteiler? Dem Dreiteiler "Die Bibel" auf Vox. "Um Himmels Willen", rief die SZ aus. Und die WELT machte fragwürdige Lust: "Die rosa Lippen des Messias".
Daniel Schulz von der TAZ zerstörte die Lust auf Ostern dann allerdings sofort wieder. "Die Deutschen sind ein Volk von Verrätern", schrieb er, spielte auf die Nazis an und auf die 600.000 Stasi-Spitzel. Wir sind also alle ein bisschen Judas. "Ich würde mein Kind gerne Judas nennen, einfach weils schön klingt", schrieb eine Frau in einem Internetforum für Eltern, die nach geeigneten Namen für ihr Kind suchen und darüber diskutieren möchten. (Zum Beispiel über den Vornamen "Adolf".) Daraus zitiert die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG: "Ich find Adolf klingt einfach nich schön, Olaf z.B. is auch nich so dolle."