Aus den Feuilletons

Adieu, Günter Grass!

Salman Rushdie und Günter Grass stehen Arm in Arm auf einer Bühne und winken (1997)
Salman Rushdie und Günter Grass stehen Arm in Arm auf einer Bühne und winken (1997). © Imago / teutopress
Von Hans von Trotha · 14.04.2015
Salman Rushdie hofft, dass die Journalisten, die Günter Grass attackiert hatten, nun erkennen, welche Lücke der Schriftsteller hinterlässt. Das schreibt Rushdie in der "FAZ". Ohnehin sind die Feuilletons einer "Grassomania" verfallen.
Wer wissen will, welche Thermen in den Feuilletons verschoben wurden, um den vielen Platz für Günter Grass zu schaffen, kommt nicht ganz auf seine Kosten. Einerseits wird weiter über Grass geschrieben, andererseits ist da nicht viel, was übers Rezensionsgeschäft hinausragt, zu dem man mit etwas gutem Willen auch die beiden Artikel rechnen kann, mit denen die Süddeutsche jetzt schon den Wahlkampf von Hilary Clinton würdigt, der, so Andrian Kreye, "ein neues Schlagwort (findet), das den sozialen Wandel auf den Punkt bringt", nämlich: "everyday americans". Die meint Kreye mit den "hardworking americans" und mit der einst von Nixon beschworenen "silent majority" in Verbindung bringen zu können – wozu, wird nicht ganz klar. Ebensowenig, warum Jörg Häntzschel in einem Text, der fast schon mutig ist, weil vergleichsweise aussagefrei, Clintons Campagnen-Emblem rezensiert: "Ihr Logo", heißt es da, "ist so knochentrocken, so aussagefrei, so visuell unverdaulich, dass man es nur mutig nennen kann."
Zweiter Tag nach dem Tod von Günter Grass
Also zurück zu Grass. Da lautet nun die Preisfrage: Wie rechtfertige ich ein Thema am zweiten Feuilleton-Tag. Gewitzt macht sich Joachim Güntner daran, die Nachrufe zu rezensieren. So kann er noch einmal eine ganze NZZ-Seite füllen. Fazit: "Von außen Gigant, von innen zart. In den Erinnerungen an Günter Grass fallen öffentliche und private Person ... auseinander". Tilman Krause findet in der WELT unter der Überschrift "Meister der Memoria" den Dreh, daran zu erinnern, wie Grass dafür gesorgt hat, dass man sich erinnert: "Günter Grass wollte in ganz Deutschland in Erinnerung bleiben. Dafür hat er gut vorgesorgt", schreibt Krause und bietet einen "Überblick über die Stätten, an denen seine Hinterlassenschaften zu sehen sein werden".
Die BERLINER ZEITUNG hat ein Interview mit dem Präsidenten der Akademie der Künste, Klaus Staeck, der, wenig überraschend, "den Mahner und Mitbürger" würdigt, während TAGESSPIEGEL und SÜDDEUTSCHE aus einem Interview zitieren, das posthum in der spanischen Zeitung EL PAÍS erschienen ist. Letzte O-Töne. Zum Beispiel: "Es gibt überall Krieg. Wir laufen Gefahr, dieselben Fehler wie früher zu machen. Ohne es zu merken, als wären wir Schlafwandler, können wir in einen neuen Weltkrieg gehen."
Die FAZ schließlich holt an Tag zwei nach, was ihr die SÜDDEUTSCHE an Tag eins vorgemacht hat: Grass satt. Die Überschrift "Gelebte Grassomania" ist dabei nicht selbstreferenziell gemeint, sie leitet vielmehr einen Beitrag darüber ein, wie Polen um Grass trauert. Die SÜDDEUTSCHE hatte Frankreich und Dänemark, jetzt hat die FAZ Polen und Israel. Hans-Christian Rössler hat Stimmen in Jerusalem gesammelt, die meisten freundlich und versöhnlich, trotz des Gedichts "Was gesagt werden muss" von 2012. Allerdings: "Der Verband der hebräischsprachigen Schriftsteller ... bleibt bei seinem Vorwurf, Grass habe mit seinem Gedicht einen 'modernen Kreuzzug´ gegen Israel begonnen, den er bis zuletzt nicht bedauert habe."
Weiter erinnern sich in der FAZ zwei Freunde: Volker Schlöndorff (Zitat: "Die Schreibmaschine war seine Blechtrommel") und Salman Rushdie. Der schreibt: "Zu den Journalisten, die ihn 1982 niedermachen wollten, sagte ich: 'Vielleicht muss er sterben, bevor ihr erkennt, was für einen großen Mann ihr verloren habt.´ Diese Zeit ist nun gekommen. Ich hoffe, sie erkennen es jetzt."
Wie lange leben Musiker?
Der Tod erst setzt den Künstler so recht ins Bild. Dass auch Kunst und Todesursache in Beziehung zueinander stehen, belegt eine australische Studie über die Lebenserwartung von Musikern, sortiert nach Genres. Susanne Lenz referiert in der Berliner Zeitung:
"An der Tabelle mit dem Titel 'Todesursache gemäß Musikstil´ lässt sich ablesen, dass genreübergreifend fast 20 Prozent der Musiker durch einen Unfall sterben. ... Mord ist durchschnittlich bei sechs Prozent der Todesfälle die Ursache, aber mehr als 50 Prozent aller Rapper und HipHopper fallen einem Mord zum Opfer. ... Selbstmord ist bei Metal-Musikern besonders häufig (19,3 Prozent) .... Gospel-Musiker ... befinden sich in Sachen Selbstmord am untersten Ende der Skala (0,9 Prozent). Für Herzanfälle sind Bluesmusiker besonders anfällig, Jazz- und Folkmusiker sterben überdurchschnittlich oft an Krebs .... Gemordet wird in diesem Milieu dagegen unterdurchschnittlich."
Für Schriftsteller gibt es eine Tabelle Todesursache gemäß Genre bislang nicht. Eine Aufgabe für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Oder für die Feuilletons, wenn es sonst mal nichts zu berichten gibt.
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