Aufstieg und Fall von Camillo Castiglione

Geliebt, gehasst und steinreich

Barbara Rudnik und Ricardo de Torrebruna in einer Filmszene aus Camillo Castiglioni oder die Moral der Haifische von 1988
Barbara Rudnik und Ricardo de Torrebruna in einer Filmszene aus Camillo Castiglioni oder die Moral der Haifische von 1988 © imago / teutopress
Von Katharina Döbler · 03.09.2015
Camillo Castiglione gilt als einer der größten Industriemagnaten Österreichs. Während des Krieges stieg er geradezu kometenhaft auf - um hinterher umso tiefer zu fallen. Reinhard Schlüter hat über ihn eine mitreißende Biografie und gleichzeitig ein hoch interessantes Stück Wirtschaftsgeschichte geschrieben.
Er war einer der größten Industriemagnaten Österreichs: Camillo Castiglioni, geboren 1879 als Sohn jüdischer Eltern im habsburgischen Triest. Er ließ sich taufen und als es opportun war, wechselte er auch die Staatsangehörigkeit. Zu seinen besten Zeiten besaß er Beteiligungen an großen Unternehmen in mindestens fünf Ländern. Er war zeitweise alleiniger Anteilseigner der Bayerischen Motorenwerke und legte am Ende, gegen viele Widerstände, den Grundstein für die Autoproduktion der BMW. Er stand in enger Verbindung mit den herausragenden Ingenieuren des Fahrzeug- des Flugzeugbaus, arbeitete mit Ferdinand Porsche und dem Flugzeugkonstrukteur Ernst Heinkel.
Bestgehasster Kriegsgewinnler
Nun hat Reinhard Schlüter erstmals die Biografie dieses einst bestgehassten Kriegs- und Inflationsgewinnlers von Österreich aufgeschrieben – und liefert damit auch ein hochinteressantes Stück Wirtschaftsgeschichte.
Der Aufstieg des Camillo Castiglione, der, wie man ohne Übertreibung sagen kann, kometenhaft war, hing mit den technologischen Neuerungen, aber auch mit der verstärkten Kapitalkonzentration jener Zeit zusammen. Mit 25 Jahren stieg er vom Generalvertreter zum Direktor der Österreichisch-Amerikanischen Gummiwerke (heute Semperit) auf, und folgte von da an nach einem Prinzip, das sein Biograf einleuchtend herausarbeitet: Er fasst die Hersteller von Reifen, Motoren und so weiter sowie die Konstruktionsfirmen unter seiner Kontrolle zu einem Konzern zusammen und versucht so, die Branche weitgehend zu monopolisieren.
Mit Ausbruch des Krieges wachsen die Umsätze ins Unermessliche. Und weil Castiglione klug genug ist, um das Ende kommen zu sehen, stößt er seine Beteiligungen in der Flugzeugbranche rechtzeitig ab und hortet das Geld in der sicheren Schweiz. Damit schafft er, ähnlich wie sein deutsches Pendant Hugo Stinnes, sein Kompagnon und Komplize die Grundlage für den Einstieg in die Montanindustrie. Und da er nach Kriegsende die italienische Staatsbürgerschaft annimmt, können ihm die Restriktionen für die österreichische Wirtschaft nichts anhaben.
Eine bemerkenswerte Biografie
Er kauft sich eine eigene Bank und mehrere Zeitungen, sichert sich Teilhaber in vielen Ländern. Überhaupt ist er extrem gut vernetzt, kennt alle und jeden, nicht nur in der Industrie, sondern auch im Kulturleben, wo er sogar noch in den Zeiten seines Abstiegs als großzügiger Sponsor auftritt. Sein Imperium finanziert er durch Kredite, die sich durch die Inflation in Rauch auflösen. Als sich die Nachkriegswirtschaft konsolidiert beginnt Castiglionis Niedergang: Den entscheidenden Schlag verpasst ihm ausgerechnet J.P. Morgan, der ihn bei einer Währungsspekulation (gegen den französischen Franc) im großen Stil austrickst.
Begleitet von den Verwünschungen der Sozialisten und den Schmähungen der Nationalsozialisten als "jüdischer Schieber" wird er aus dem BMW-Konzern gedrängt und verliert sein Vermögen.
Schlüter ist eine bemerkenswert objektive Biografie diesen Finanzhais gelungen, die allenfalls in Bezug auf die Person des Camillo Castiglioni einige Fragen offenlässt.

Reinhard Schlüter: "Der Haifisch. Aufstieg und Fall des Camillo Castiglioni"
Zsolnay, Wien 2015

336 Seiten, 24,90 Euro