Aufstieg und Fall

Bestrafung wird allgemein gewünscht

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War von Juni 2010 bis Februar 2012 der zehnte Bundespräsident: Christian Wulff (CDU) © picture alliance / dpa - Wolfgang Kumm
Anna Baumert im Gespräch mit Ute Welty · 10.06.2014
Dürfen sich Politiker mehr erlauben als andere? Diesen Eindruck haben viele Menschen, sagt die Psychologieprofessorin Anna Baumert. Der Abstieg des ehemaligen Bundespräsidenten befriedige darum den Wunsch nach Statusentzug.
Ute Welty: Das Interesse dürfte riesengroß sein, wenn der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff heute in Berlin sein Buch vorstellt, das da heißt "Ganz oben Ganz unten". Ja, Wulff war Staatsoberhaupt, wenn auch nicht allzu lange, aber dann war er auch derjenige, gegen den ermittelt wurde wegen Vorteilsannahme im Amt. Die Bilanz der letzten beiden Jahre jedenfalls fällt einigermaßen verheerend aus: die Karriere dahin, die Ehe zerbrochen. Jetzt also dieses Buch, aber wie kann das einen Neuanfang markieren? Darüber spreche ich jetzt mit Anna Baumert, Psychologin, Philosophin und Junior-Professorin für Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik an der Universität Koblenz-Landau. Guten Morgen!
Anna Baumert: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Ist Ihnen schon mal ein vergleichbarer Fall untergekommen von einem, der so weit oben war und dann so weit unten?
Baumert: Mir fällt jetzt kein konkreter Fall ein, aber interessant daran ist, dass, wenn Eliten sich Fehlverhalten leisten oder zumindest Fehlverhalten ihnen vorgeworfen wird, dass das schon ein genereller Wunsch ist in der Bevölkerung, dass sozusagen ein Statusausgleich stattfindet.
Welty: Was bedeutet das? Worin kann dieser Statusausgleich bestehen?
Baumert: Man weiß in der Psychologie, dass Fehlverhalten von Eliten, vielleicht auch gerade von Politikerinnen und Politikern bei der Bevölkerung auch zu so etwas wie Statusbedrohung führen kann. Das heißt, die Menschen haben die Wahrnehmung, dass sich da jemand über sie stellt, sich sozusagen mehr rausnehmen kann als sie. Und als Reaktion darauf wird allgemein gewünscht, dass eine Bestrafung stattfindet, die am besten darin besteht, dass Status entzogen wird.
Welty: Ist das die sprichwörtliche Rache des kleinen Mannes?
Baumert: Ja, ja, kann man so sagen. Dass jemand des Amtes enthoben wird, das würde dazu passen, dass sozusagen der Status wieder korrigiert wird, aber natürlich können das auch andere, vielleicht weniger offizielle Konsequenzen sein, die da für gefühlte Genugtuung sorgen.
Welty: Wie ist das denn dann bei Wulff, dessen Prozess ja dann tatsächlich – die Revision steht ja noch aus oder die Entscheidung über die Revision – dessen Prozess ja erst mal mit einem Freispruch geendet hat. Ist das ausreichend?
Geht es um Moral und Gerechtigkeit urteilen wir weniger fair
Baumert: Das ist ja insofern ein besonders interessanter Fall, dass eine krasse Vorverurteilung stattgefunden hat, bevor die Gerichte zur Arbeit geschritten sind. Und hier kann man sich gut vorstellen, dass psychologische Mechanismen wirken der selektiven Informationsverarbeitung. Wenn es um Fragen der Gerechtigkeit und der Moral geht, dann neigen Menschen dazu, Hinweise auf Fehlverhalten sehr viel stärker zu gewichten als Hinweise darauf, dass jemand unschuldig ist. Und so was begünstigt natürlich eine Vorverurteilung, und dann ist die Frage, ob ein Freispruch durch das Gericht in der Wahrnehmung der Bevölkerung auch zu einem Freispruch führen kann überhaupt.
Welty: Womöglich hat sich die Staatsanwaltschaft von diesem Mechanismus, den Sie beschreiben, auch nicht ganz freisprechen können?
Baumert: Das würde ich nicht sagen. Ich denke, dass die standardisierten Prozeduren, die vor Gericht herrschen, natürlich dazu gedacht sind, solche psychologische Mechanismen abzumildern oder auszuhebeln.
Die "richtigen Konsequenzen" für Wulff?
Welty: Ich habe es gerade schon gesagt, das Interesse an dieser Buchvorstellung heute Nachmittag dürfte riesengroß sein. Ist das mehrheitlich Anteilnahme oder dann doch Sensationslust.
Baumert: Gute Frage. Das könnte natürlich aus beiden Motivationen resultieren. Es könnte aber auch nach wie vor aus dem Interesse resultieren, ob da jemand, der sich möglicherweise falsch verhalten hat, die richtigen Konsequenzen erlebt hat, sozusagen.
Welty: Ist das die Gratwanderung, auf der wir uns grundsätzlich bewegen, wenn es um einen Absturz geht, sei es bei Wulff, bei Kachelmann oder jetzt auch bei Alice Schwarzer?
Baumert: Ja, vielleicht nicht nur. Ich hab ja davon gesprochen, dass eine Konsequenz von Fehlverhalten Statusbedrohung sein kann. Man unterscheidet davon Wertebedrohung, also wenn die Bevölkerung wahrnimmt, dass da Werte, von denen man eigentlich ausgeht, dass sie geteilt sind und dass sie Grundlage unseres Lebens sind, unseres gemeinschaftlichen Lebens, dass die nicht respektiert wurden, dass die verletzt wurden.
Werte wieder herstellen
Und dann ist die Frage, ob diese Werte wiederhergestellt werden. Und da ist natürlich nicht – da ist eigentlich nicht ausreichend, dass jemand, der sich falsch verhalten hat, dann sozusagen abstürzt, ganz nach unten befördert wird, sondern gleichzeitig muss so etwas stattfinden wie eine Bestärkung dieser Werte. Das kann durch die Person selber passieren, also durch einen mutmaßlichen Normenbrecher – dass der sich zum Beispiel entschuldigt, dass er das bereut, was er getan hat. Aber das kann natürlich auch durch andere Repräsentanten passieren. Das ist jetzt im Falle des Bundespräsidenten, der ja eigentlich sozusagen – dessen Rolle es ja ist, solche Werte zu bekräftigen, ist es natürlich schwierig, wenn es ihn selber betrifft.
Welty: Der Fall Wulff und die Gesellschaft – Gedanken dazu von der Psychologin Anna Baumert, der ich herzlich danke!
Baumert: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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