Aufstand gegen Kalifen spaltete den Islam

Von Tobias Mayer · 09.12.2011
Der größte Teil islamisch motivierter Gewalt richtet sich nicht gegen die westliche Welt, sondern gegen die Muslime selbst. Die Spaltung der islamischen Konfessionen in Sunniten und Schiiten ist dabei fast so alt wie der Islam selbst: Die erste Schlacht fand am 9. Dezember 656 im Irak statt.
Der Prophet Muhammad war kaum 25 Jahre tot, da stand die noch junge islamische Gemeinde bereits vor der Spaltung. Über die Nachfolge des Propheten im Amt des Kalifen war ein erbitterter Streit ausgebrochen. Professor Heinz Halm, Islamwissenschaftler von der Universität Tübingen:

"Der dritte Kalif Uthman war gerade ermordet worden und es entstand dadurch eine sehr unsichere Situation in Medina. Und in diesem Moment hat sich dann der Vetter und Schwiegersohn des Propheten, Ali, in Medina von einem Teil der Bevölkerung huldigen lassen."

Auf Arabisch hieß diese Gruppe "Schiat Ali", Partei Alis. So entstand die Bezeichnung "Schiiten". Die Gegner Alis hießen Talha und az-Zubair, sie waren hoch angesehene Männer, Verwandte und frühe Weggefährten Muhammads. Auf ihre Seite schlug sich auch Aischa, die Witwe des Propheten. Sie warfen dem Kalifen Ali vor, an der Ermordung seines Vorgängers mitschuldig zu sein. "Rache für Uthman" hieß der Slogan. Talha, az-Zubair und Aischa sammelten ihre Anhänger im Süd-Irak, wo sie seit der Zeit der frühen Eroberungen ihre militärische Hausmacht besaßen. Am 9. Dezember des Jahres 656 trafen die verfeindeten Truppen in der Steppe unweit der heutigen Großstadt Basra aufeinander.

"Aischa saß auf einem Kamel, um ihre Kämpfer anzufeuern. Ein Kämpfer hielt den Nasenstrick des Kamels in der Hand. Nachdem ihm der Arm abgeschlagen worden war, trat ein anderer Kämpfer an seine Stelle, um das Kamel Aischas zu führen. Doch auch der wurde getötet. In einem beispiellosen Gemetzel fielen insgesamt 70 Mann bei der Verteidigung des Kamels, bis dieses selbst schwer verwundet wurde. Das ganze Schlachtfeld war übersäht mit abgetrennten Armen und Beinen."

Talha und az-Zubair fielen im Kampf und das Kamel, nach dem diese Schlacht ihren Namen erhielt, wurde getötet. Aischa selbst verschonte man.

Heinz Halm: "Sie wurde zunächst gefangen gehalten, dann aber ehrenvoll nach Medina entlassen, wo sie noch eine ganze Reihe von Jahren gelebt hat. Sie ist im Alter von etwa 65 Jahren dann gestorben. Man hat der Frau nichts angetan, das war damals auch nicht üblich. Die Frauen und Kinder waren keine Kombattanten und die wurden geschont. Außerdem war es ja immerhin die Lieblingsfrau des Propheten Mohammed gewesen. Und wenn sie in dieser Schlacht auch auf der falschen Seite gestanden hat, so hat man ihr das doch nicht verübelt."

Der Tod der beiden Konkurrenten Talha und az-Zubair festigte die Macht Alis allerdings nur für kurze Zeit. Der mächtige Clan der Umayyaden hatte sich gegen ihn gestellt. Wenige Jahre später rissen die Umayyaden unter der Führung von Muawiya das Kalifat an sich, auch Ali wurde schließlich ermordet. Damit war die Spaltung der islamischen Welt in Sunniten und Schiiten endgültig besiegelt. Den Sunniten gilt die Kamelschlacht bei Basra heute nicht als ruhmreiche Episode ihrer Geschichte. Denn aus islamischer Sicht ist der Aufstand gegen einen gewählten Kalifen unrechtmäßig.

Heinz Halm: "Bei Talha und az-Zubair hat man dann später Traditionen in Umlauf gebracht, nach denen sie reuige Sünder gewesen seien. Man brauchte sie noch, genauso wie Aischa, denn alle sind auch Überlieferer von Prophetenworten. Also auf Aischa werden über 1000 Prophetenaussprüche zurückgeführt. Und man kann die Dame da nicht aus der Tradition entfernen."

Die Überlieferungen des Propheten Muhammad sind heute wichtiger Bestandteil des sunnitischen islamischen Rechts, der Scharia. Es war daher notwendig, die Gegner Alis zu rehabilitieren.

Bei den Schiiten hingegen lebt die Erinnerung an die Ereignisse der Kamelschlacht bis heute fort. Einmal im Jahr veranstalten sie im islamischen Monat Muharram zehntätige Passionsspiele im Gedenken an die Märtyrer Ali und seinen Sohn Hussein, die im Kampf gegen die verhassten Umayyaden ihr Leben gelassen haben.

Heinz Halm: "Die drei Protagonisten, Talha, az-Zubair und Aischa, werden bis heute in den Prozessionen und auf den Kanzeln der Schiiten verflucht. Das sind die großen Bösewichte, Verbrecher, sie haben versucht, den wahren Imam, den eigentlichen Nachfolger des Propheten, Ali, seiner Macht zu berauben."

Niemals würde heute ein gläubiger Schiit seinen Sohn "Muawiya" oder "Talha" nennen, die Vornamen der alten Erzfeinde sind tabu. "Ali" und "Hussein" hingegen sind unter den Schiiten in Iran, Libanon, Irak oder Bahrain sehr häufig.