Aufruffütterung bei Schweinen

Die nächste Sau, bitte!

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Aufruffütterung im Schweinestall © Deutschlandradio - Silke Hasselmann
Von Silke Hasselmann · 06.10.2015
Am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie bei Rostock, bringt man Schweinen bei, auf ihren Namen zu hören. Bei Aufruf erscheinen sie vor dem Fütterungsroboter und holen sich ihre Ration ab. In Ställen könne eine solche Futterstation bis zu 60 Tiere mit Futter versorgen.
"So, jetzt sind wir angekommen in der Abteilung für Aufruffütterung."
Leibniz-Institut für Nutztierbiologie, "Experimentieranlage Schwein". In der zweiten Etage will mir Dr. Christian Manteuffel zeigen, dass die Dummerstorfer Schweine genau wissen, was sie zu tun haben, wenn ihr Name aufgerufen wird. Eigentlich laufe der Aufruf automatisch computergesteuert.
"Aber wir haben jetzt hier oben auch die Möglichkeit, das manuell auszulösen. Das heißt, wir müssen jetzt einen kleinen Augenblick warten, bis die Sau jetzt ihr Kontingent abgerufen hat. Dann wird die Station wieder freigegeben und ich kann hier oben mit dem kleinen Kasten rufen. Manuell."
(Aus einem Lautsprecher ertönt eine computeranimierte weibliche Stimme: "Auguste")
Wir schauen durch große schräge Innenfenster hinunter in eine Modell-Futterstation mit acht trächtigen - und übrigens auch einträchtigen - Sauen. In echten Ställen könne eine solche Futterstation bis zu 60 Tiere passgenau mit Futter versorgen. Doch zu Demonstrationszwecken reichten weniger, erklärt Projektleiter Manteuffel und aktiviert nun den "Kasten". Per Touch-Screen sucht er eine Sau aus, die in diesem Zyklus noch kein Futter bekommen hat.
Frage: "Sie haben jetzt wen gerufen?"
"Ich habe jetzt ein Schwein mit Namen Auguste gerufen. Sie hat auch versucht, dorthin zu gehen. Ich habe aber offensichtlich gerade die erwischt, die da nicht durchkommt, weil eine dominante Sau im Weg steht. Ach doch, sie hat sich doch vorbei gedrängt. Ich sehe es. Sehr gut!"
Individuelle Rufsignale
Auf dem Weg hierher hat mir der Agrar- und IT-Wissenschaftler Christian Manteuffel erklärt, dass Schweine etwa im Vergleich zu Rinder sehr vokalisationsfreudige Tiere sind. Sie können sich mit verschiedenen Grunz- und Quiekgeräuschen verständigen. Das machten sich die Verhaltensphysiologen des Leibniz-Institutes für Nutztierbiologie zunutze und entwickelten ein Verfahren, mit dem sie trächtige Sauen innerhalb von zwei bis drei Wochen auf individuelle Rufsignale konditionieren.
"Und das ist in unserem Fall tatsächlich so ein gesprochener dreisilbiger Name wie Auguste, Beate oder exotischere Namen wie Ulusi oder Toshibo. Und Konditionieren heißt: Wir trainieren sie darauf, dass, wenn sie diesen Namen hören, Futter bekommen. Und dann können wir diesen Namen auch verwenden, um sie einzeln zu dieser Station zu rufen."
"Diese Station" ist keine Neuheit. Schon seit längerem verwenden Viehalter in größeren Ställen elektronische Abrufstationen, die das Futter je nach Alter, Größe, Gewicht der Tiere individuell berechnen. Über einen im Ohr befindlichen Transponder identifiziert die Anlage, welches Schwein da gerade am Trog steht und seine Portion abruft.
"Was dann wie bei einem Büffet dazu führt, dass die gerade beim Beginn der Fütterung alle davor stehen und versuchen, als Erste in diese Station zu kommen. Dabei kommt es häufiger zu Stress, zu Zweikämpfen, zu Verletzungen."
Soziale Rangfolge der Tiere beachten
Die Dummerstorfer Nutztierforscher haben nun eine intelligentere Methode entwickelt: Vor dem Abrufen des Futters kommt erst einmal das Aufrufen der Schweine. Zwar müsse man die soziale Rangfolge der Tiere beachten - höherrangige Schweine in einer Gruppe müssten immer zuerst fressen dürfen, erklärt Projektleiter Manteuffel nun in der "Experimentieranlage Schwein". Doch ansonsten lege der Computer die Fress-Reihenfolge täglich neu fest.
"Es ist einfach ein Teil des Konzeptes, dass ich nicht eine feste Reihenfolge nehmen kann, weil die Tiere sich diese Reihenfolge merken und versuchen, das System zu überlisten, indem sie zum Beispiel vordrängeln, wenn eine andere Sau die Tür aufgemacht hat und solche Geschichten. So, jetzt hat das System gemeldet, dass es bereit ist."
Aus dem Lautsprecher ertönt der Name Gloria.
Tatsächlich trottet nun die Sau namens Gloria zur eigentlichen Futterbox, in die nur ein Tier passt. Mit der Schnauze stößt sie die Tür auf und macht sich über die nun ausgeworfene, maßgeschneiderte Portion her.
"Die kriegt dann 600 Gramm pro Futteraufruf, und wenn sie fertig ist, hat sie noch eine gewisse Nachfresszeit von zwei-drei Minuten. Dann geht die Station auf. Das heißt, man hat hier eine Verzögerung von fünf bis zehn Minuten, bis dann die nächste fressen kann."
Was aber, wenn Auguste einfach am Trog stehen geblieben wäre, um auch noch Glorias Ration abzugreifen? Das versuchten anfangs einige Tiere, erzählt der Projektleiter Christian Manteuffel. Doch wer aufgerufen ist, würde die vor ihm stehende Sau rasch - nun ja - nicht durch das Dorf, aber durchaus schmerzhaft durch die Futterbox treiben.
"Das ist im Prinzip etwas, was die Tiere sich auch gegenseitig beibringen. Wenn eine stehen bleibt, da realisieren die ganz schnell, dass irgendwann hinten die Station wieder aufgeht und dass sie dann lieber draußen sein sollten."
Auch Geschäftsführer Tino Hülsenbeck von der pironex GmbH hat sich mittlerweile davon überzeugt, dass die Aufruffütterung grundsätzlich funktioniert. Nun hat der Rostocker Ingenieurdienstleister einen kniffligen Auftrag vom Leibniz-Institut übernommen.
"Wir bauen Industrierechner. Das sind Steuerrechner, die zum Beispiel Roboter steuern oder Elektro-Tankstellen. Und wir nehmen jetzt unsere Technik und bauen die so, dass die im Schweinestall überhaupt Bestand hat. Denn die Situation im Schweinestall ist, dass hier sehr aggressive Stoffe sind, und wir versuchen nun, unsere Industrie-PCs so einzupacken und zu programmieren, dass sie hier aushalten."
Tierwohl wird erhöht
Um die Technik serienreif zu entwickeln, geht es schon bald hinaus in einen großen mecklenburgischen Schweinestall mit hunderten Tieren. Ob die Aufruf-Anlage den Landwirten nennenswert Arbeit abnimmt, wird sich zeigen. Dass sie unerwünschte Stress- und Kampfsituationen am Futtertrog verhindert und damit das Tierwohl erhöht, haben die Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Nutztierbiologie aber schon jetzt belegt.
Übrigens, schon erforschen die Dummerstorfer, ob die Schweine auch per Funksignal zum geordneten Fressen gerufen werden können. Wäre noch einfacher, klänge aber zumindest in unseren menschlichen Ohren viel unpersönlicher als:
"Gloria." - "Auguste".
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