Aufgespürte Vorurteile

    13.03.2013
    Er ist ein politischer Preisträger: Der Bielefelder Literaturwissenschaftler Klaus-Michael Bogdal erhält für sein Werk "Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung" den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung.
    Darin untersucht Bogdal die seit Jahrhunderten andauernde Verfolgung und Ausgrenzung der Romavölker in Europa und analysiert die Wurzeln von Vorurteilen gegenüber Roma und Sinti. Bogdals Studie sei bahnbrechend und gewinne gerade angesichts eines neu aufbrandenden Anti-Ziganismus in Europa eine "bedrückende Aktualität und Brisanz", heißt es in der Begründung der Jury.

    Fremdenfeindliche Gewalt von Rostock-Lichtenhage als Ausgangspunkt
    Die Idee zu dem Buch sei ihm gekommen, als nach der Wiedervereinigung die fremdenfeindliche Gewalt in Deutschland sprunghaft anstieg, sagte Bogdal kürzlich im Deutschlandfunk-Gespräch. Im Zusammenhang mit den ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen sei er 1992 auf ein Interview gestoßen. "Darin sagte eine 16-jährige Schülerin: 'Wären Zigeuner verbrannt, hätte es mich nicht gestört'."

    20 Jahre hat der 1948 in Gelsenkirchen geborene Bogdal an dem Thema geforscht, akribisch herausgearbeitet, aus welchen Texten die Bilder und Klischees stammen. Mittelalterliche Chroniken, historische Rechtsdokumente, populäre Dramen, unbekannte Autoren, aber auch Cervantes, Victor Hugo oder Goethe. Darin wimmelt es von jungen und schönen oder alten und hexenhaften Zigeunerfrauen. Angebliche vagabundierende Zigeunerhorden aus Dieben und Betrügern werden in diesen Quellen erwähnt.

    Die Roma seien die einzige Gruppe, der man von Anfang an jeden Rechtsstatus, jede Identität abgesprochen hat, fasst Bogdal die jahrhundertealte Ausgrenzung zusammen. Sogar der Begriff "Zigeuner" sei ihnen aufgezwungen worden. "Die Zigeuner sind das, was man niemals sein möchte."

    Das Verdienst Bogdals beschreibt die Jury in Leipzig mit den Worten:

    "Indem Bogdal die Darstellung der 'Zigeuner', 'Gipsies', 'Bohémiens' und 'Gitanos' in der Literatur und Kunst vom Spätmittelalter bis heute zum ersten Mal umfassend im europäischen Vergleich analysiert, beschreibt er zugleich die allmähliche Verfertigung eines historischen Vorurteils gegen ein imaginäres Kollektiv, das mangels Schrift den Fremddeutungen, Zuschreibungen und Projektionen anderer hilflos ausgeliefert war."

    Bogdal bekommt den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung am Abend im Leipziger Gewandhaus verliehen. Der Preis wird seit 1994 von der Stadt Leipzig, dem Freistaat Sachsen, der Leipziger Messe und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels vergeben. 2012 erhielten ihn zu gleichen Teilen die Historiker Ian Kershaw (Großbritannien) und Timothy Snyder (USA) für Studien zum Zweiten Weltkrieg. Frühere Preisträger waren der österreichische Autor und Übersetzer Martin Pollack, der russische Philosoph Michail Ryklin, die kroatische Autorin Slavenka Drakulic sowie der italienische Schriftsteller und Publizist Claudio Magris.