Aufbruch der Frauen

Sprechen wir über Sex

Ein Schild weist am 19.05.2012 in Hannover den Weg zum Festival in der Theaterwerkstatt.
Dieses Jahr fand wieder ein Theatertreffen Arabischer Frühling in Hannover statt. © dpa / picture alliance / Jochen Lübke
Von Alexander Kohlmann · 08.10.2014
Das zweite Theatertreffen Arabischer Frühling in Hannover widmet sich dem Aufbruch der Frauen. Die Stücke sind provokativ, mutig - und zeigen, dass der gesellschaftliche Wandel viel Zeit braucht.
"Théâtre al Ghad" - "Theater von morgen" heißt die Gruppe des ägyptischen Beitrags beim zweiten Theatertreffen Arabischer Frühling - und das ist durchaus programmatisch zu verstehen. Denn alle jene, die vorschnell ein Ende oder gar einen Übergang der Freiheitsbewegung in einen Arabischen Herbst prognostizierten, übersahen, in welch langen Zeitläufen sich gesellschaftliche Veränderungen vollziehen. Noch vor gut 200 Jahren entstanden gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch in Deutschland Texte, in denen Väter ihre Töchter lieber tot sahen als durch eine selbstbestimmte Sexualität vermeintlich besudelt.
Der Werdegang der westlichen Welt dauert Jahrhunderte - der Wandel der arabischen Staaten hat gerade erst begonnen. Begonnen durch die Benennung von Problemen und Missständen und einem Ende des Schweigens. Sei es in "Nacht des Südens", einer ägyptischen Installation, die die furchtbaren Lebensumstände von Frauen im ägyptischen Süden in eine sinnbildliche Performance verwandelt. Ein Mann in altmodischer Tracht mit Turban steht auf einem Podest und spinnt einen Strick. Einen Strick, der über die Bühne bis in den Zuschauerraum reicht und von den anderen Männern des Ensembles langsam zu einem Netz aus Stricken verwoben wird, in denen sich die Frauen des Südens unentrinnbar verfangen.
Geschichten von Zwangsverheiratungen erzählen sie und wehren sich bis zuletzt gegen die Beschneidung, "ich will meinem Mann als fühlendes Wesen begegnen, nicht als Gegenstand wie ein Teppich". Vergeblich. "Du kommst als Frau nicht weiter als Dich Deine Fesseln tragen", entgegnet der Chor, bevor er die grausame Verstümmelung vollzieht. Auf der Bühne sitzt auch ein Mann in moderner Kleidung vor einem Laptop. Das erzählende Ich dieses Abends hat seine Heimat, den ägyptischen Süden, verlassen, weil er die Rückständigkeit dort nicht erträgt: Er verkörpert das moderne Ägypten, das im Moment zeitgleich mit den religiösen Traditionalisten um die Zukunft ringt.
Enttabuisierung des weiblichen Körpers
Die Enttabuisierung des weiblichen Körpers als ersten Schritt der Befreiung hat sich das marokkanische Théâtre Aquarium mit "Meine" vorgenommen. "Meine" müsste eigentlich, "Meine Vagina" heißen und ist eine arabische Version der "Vagina Monologe", jenem Theatertext von Eve Ensler, der in den 90er-Jahren überall in der westlichen Welt für Aufsehen sorgte. Mit der didaktischen und pädagogischen Attitüde der stark im Zeichen des Geschlechterkampfs stehenden amerikanischen Vorlage hat die arabische Version nur wenig gemeinsam. Mit Leichtigkeit und Lebensfreude entdecken drei glänzende Schauspielerinnen stellvertretend für alle arabischen Frauen sich selbst. Singen davon, dass niemand ihnen etwas über "da unten" erzählt habe bis zur Hochzeit, dann hieß es, "geh ins Badehaus, rasier sie und wasch sie" - und warte auf deinen Ehemann.
Auch von Vergewaltigungen und Zwangsheirat erzählen die Frauen, die in wechselnden Rollen alle Protagonisten spielen. Ein Abend, der gewiss nicht repräsentativ ist für das marokkanische Theater, aber einen äußerst mutigen Aufbruch darstellt. Und ein Stück, das zu den meist diskutierten in Marokko zählen und dabei keineswegs nur auf Zustimmung treffen soll.
"Wir wollen Frauen nicht als Opfer darstellen", erklärt die Regisseurin im Publikumsgespräch, sondern durch Texte, die sich mit der Gegenwart der Menschen beschäftigen, den gesellschaftlichen Wandel vorantreiben. Dass dieser Jahrzehnte oder gar noch länger dauern wird, ist allen Beteiligten auf diesem Festival klar. Viel Zeit also für viele weitere Theatertreffen zum Arabischen Frühling.