Auf neuen Sohlen durch Pirmasens

03.11.2009
Die westpfälzische Stadt Pirmasens war einst ein Weltzentrum der Schuhproduktion. Doch die Blütezeit der Stadt ist längst vorbei. Die meisten Arbeitsplätze der Schuhindustrie sind nach Osteuropa und nach Asien weitergewandert. Pirmasens kämpft mit den Folgen der De-Industrialisierung der Region. 15 Prozent Arbeitslosenquote muss die Stadt vermelden – eine der Höchsten in Westdeutschland. Doch inzwischen trauert Pirmasens längst nicht mehr nur der Schuhindustrie nach, sondern mischt wieder mit im weltweiten Schuhgeschäft.
Neue Schuhe aus Pirmasens - Von Ludger Fittkau

"Wenn die Rede von Pirmasens ist etwas weiter weg, dann fallen eigentlich den Leuten zwei Phänomene ein: Das eine sind Schuhe und das zweite ist die (…) glorreiche Vergangenheit des FKP, unseres Fußballvereins, der ja mal um den Aufstieg in die erste Bundesliga gespielt."

Der Pirmasenser Oberbürgermeister Bernhard Matheis träumt nicht davon, dass der Fußballklub Pirmasens irgendwann mal wieder in an das Tor zur Bundesliga klopft. Bei den Schuhen ist das etwas anderes. Ohne Bundesligafußball kann man in Pirmasens leben, ohne Schuhe nicht. Viele Menschen in der Stadt leben zwar nicht auf großem Fuß, aber immer noch vom Schuh:

"Nach meiner Schätzung ungefähr 3000. Es gibt vier Schuhfabriken noch in Pirmasens, zwischen 150 und 500 pro Unternehmen. Hier werden noch sehr, sehr hochwertige Damenschuhe produziert (…) Das ist noch ganz hochwertige Schuhmacherkunst. Aber es ist im Prinzip gegenüber der Massenware auch eine Nische, die hier gehalten wird."

Dass in Pirmasens noch Schuhe gefertigt werden, sieht man auf den ersten Blick nicht, wenn man in die Stadt kommt. Viele Fabrikgebäude haben zerbrochene Scheiben, verschlossene Werkstore rosten vor sich hin. An den Fassaden vieler Arbeiterhäuser bröckelt der Putz. Pirmasens hat mit dem Ende großer Schuhfabriken und dem Abzug amerikanischer Truppen in den letzten vier Jahrzehnten rund ein Drittel der Einwohner verloren. Rheinberger, die ehemals größte Schuhfabrik Europas und viele andere Werke standen plötzlich leer, weil in Osteuropa und Asien billiger produziert werden konnte:

"Und da sind natürlich jede Menge Arbeitsplätze verloren gegangen. Und das sind natürlich Stadtschlösser, die da gebaut worden sind und die auch ne gute Architektur haben und als die leer gestanden sind, war das natürlich auch ein Symbol für den Niedergang der Schuhindustrie, aber auch für die großen Strukturprobleme unserer Stadt."

Heute leben noch rund 40.000 Menschen in der Stadt. Die Arbeitslosenquote von 15 Prozent gehört zu den höchsten in Westdeutschland. Ohne die Schuhindustrie sähe es noch düsterer aus. Deshalb geht es Pirmasens heute nicht nur um vergangene Schuhherrlichkeit, um Schusterbrunnen und Volksfeste. Die Region Pirmasens kämpft weiter um den industriellen Kern - die Herstellung von Schuhen.

"Das sind jetzt die Stiefel, ganz neue Modelle schon wieder für nächstes Jahr, das ist alles echtes Leder. Da kommt dann der Reißverschluss hinein, das sind so Zierreihen, dieses Riemchen kommt hier dran, das ist für den Stiefel. Dann haben wir natürlich die Halbschuhe, Herrenhalbschuhe. Dieser Schuh hier ist ein Stiefel, ein Halbstiefel, für Herren."

Die Elsässerin Marie Roth ist Schichtführerin in der Schuhfabrik Joseph Seibel im Dorf Hauenstein bei Pirmasens. Hier arbeiten 60 Leute an nagelneuen High-Tech-Apparaten, teilweise auch alten, bewährten Nähmaschinen. Produziert werden Schuh-Prototypen. Teilweise werden hier Schuhe sogar noch mit der Hand genäht.

"Die Qualität muss stimmen, das ist das A und O. Denn wenn die Qualität nicht mehr stimmt, dann verlieren sie die Kunden und dann ist es natürlich sehr schwierig, die Kunden zurückzugewinnen."

Marie Roth fährt jeden morgen gut 50 Kilometer aus Frankreich zur Arbeit in die ehemalige Schuhmetropol-Region Pirmasens. Denn auf der anderen Seite der Grenze gibt es in der Schuh-Branche gar keine Jobs mehr.

"Nein, in der Nähe keine mehr. Da war Adidas früher und Salamander, aber die haben zu gemacht. Alle im Ausland."

In der Region gab es bis in die 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts eigentlich nichts anderes als die Schuhindustrie. Diese wiederum ist ein Art Abfallprodukt des Militärs. Bevor Pirmasens Schuhstadt wurde, war es eine Garnison. Ein hessischer Außenposten mitten im Pfälzer Wald, erzählt Heike Widmer, die für die Museen von Pirmasens zuständig ist:

"Ja wir haben den Arbeitgeber Ludwig den Neunten von Hessen-Darmstadt gehabt und nach seinem Tod 1790 war die Garnison 1790 aus Kostengründen zurückverlegt worden nach Darmstadt. Der Sohn hat nur wenige Soldaten mitgenommen, die noch in einem soliden Zustand waren, alle anderen bleiben eigentlich hier. Und damit kam die Not in die Stadt und man musste sich ein weiteres Handwerk suchen, das einen ernährt. Und die Pirmasenser Grenadiere haben schon zu Landgrafens Zeiten die Erlaubnis gehabt, Schuhe im Nebenerwerb zu fertigen. Und diese Erlaubnis hat ihnen die Fertigkeit gebracht und diese Erlaubnis haben sie nach dem Tod des Landgrafen eben genutzt und aus anfänglichen Uniform-Verarbeitung dann die Schuhindustrie ins Laufen gebracht."

Gut 200 Jahre später finden noch viele Menschen im Raum Pirmasens Lohn und Brot, in dem sie Schuhe entwerfen oder in riesigen Einkaufszentren an Fernstraßen Schuhe verkaufen. Schuhe, die längst in Osteuropa oder in Asien hergestellt werden. Doch in Pirmasens wird auch an Schuhen für die Zukunft geforscht.

"Das ist der berühmte Klick. Das heißt, hier wird die Sohle praktisch nach unten hin gebogen, so dass der Einschlupf vergrößert wird. Und jetzt kann ich mit dem Fuß einfahren, ohne mich bücken zu müssen, belaste die Ferse, der Schuh schließt sich wieder und passt perfekt an den Fuß."

Uwe Thamm erklärt an einem Schuhmodell die Erfindung, die sein Team in Pirmasens gemacht hat. Der Schuh mit der runter klappbaren Sohle ist der Schuh für den demografischen Wandel. Ein Schuh, der es vor allem Hochbetagten einfach machen soll, hineinzuschlüpfen. Im nächsten Jahr geht er in die Massenproduktion.

"Aber das ist nur eines von einigen Beispielen, wo wir auch an ganz neuen Projekten dran sind. Da gibt es auch dieses 'mass customisation', das ist immer wieder ein großer Begriff. Das heißt individuelle Schuhfertigung, das heißt, die Dame geht in den Laden und möchte jetzt für ihr Kostüm genau den richtigen Schuh haben, kann dann aus einem Baukasten die verschiedenen Designs auswählen. Und diese ganze Logistik aufzubauen und das System drum herum, da sind wir gerade auch dabei mit einem Partner."

Uwe Thamm und sein 13-köpfiges Team arbeiten im nagelneuen "International Shoe Competence Center". Das ist auf einem alten US-Kasernengelände in Pirmasens gebaut worden. Das Center wird von der Stadt Pirmasens gemeinsam mit der Deutschen Schuhindustrie getragen. Schuhpatente, die hier entwickelt werden, sollen irgendwann wieder den Weltmarkt erobern. Zu Forschungs- und Ausbildungszwecken wurde hier deshalb in einer nagelneuen Werkshalle eine komplette Schuhfabrik nachgebaut – mit den modernsten Maschinen, die es derzeit gibt. Viele stammen aus Italien.

Hier können Studenten der nahen Fachhochschule Kaiserslautern die praktischen Übungen machen, die sie für ihren Studiengang "Industrielle Schuhproduktion" brauchen. An den Maschinen werkeln auch Berufsschüler der ebenfalls in Pirmasens beheimateten Deutschen Schuhfachschule, die Facharbeiter für die Branche ausbildet. Hallenchef Joachim Horzella spricht liebevoll von einer "Schul-Lernfabrik":

"Wir haben natürlich auch die ganz konventionelle Weise des Zuschneidens, das heißt von Hand natürlich und mit Stanzmaschinen, in dem Fall auch die Schwenkarmstanzen, die eigentlich in der Schuhindustrie nach wie vor unersetzbar sind."

Schwenkarm- Stanzen und alte, gusseiserne Nähmaschinen wirken ein wenig museal neben roboterähnlichen Geräten, die von Computertastaturen aus gesteuert werden. Doch Maschinen, die eine 100 Jahre alte Industriegeschichte verkörpern, gehören tatsächlich auch heute noch zur Realität jeder Schuhfabrik - weltweit. Und auch die Automatisierung hat bei der Schuhproduktion noch Grenzen, versichert Joachim Horzella:

"Ohne den Menschen geht hier gar nix. Und das ist es, was die Schuhindustrie nach wie vor ausmacht, dass hier Leute nach wie vor gesucht werden, die eigentlich relativ rar sind im Moment. Deswegen freuen wir uns umso mehr, dass die FH jetzt wieder neue Studenten bekommen hat, die Deutsche Schuhfachschule. Es könnten mehr sein, aber ich denke, so langsam zieht es auch in der Richtung wieder an. Man hat wieder begriffen, dass es Leute braucht, um Schuhe zu machen."

Doch diejenigen, die an eine Schuhzukunft in Pirmasens glauben, haben ein ernsthaftes Problem. Die Bürger der Stadt vertrauen dem Spruch nicht mehr: Schuster, bleib bei Deinem Leisten! Im Gegenteil: Viele Menschen in Pirmasens zeigen der Schuhindustrie die kalte Schulter. Auch die Schuh-Lernfabrik der Stadt bekommt das zu spüren, beobachtet Geschäftsführer Uwe Thamm:

"Ein Punkt, der mich persönlich immer wieder stört, ist, wie über die Schuhindustrie immer wieder schlecht geredet wird. Sicher, wir haben nicht mehr die großen Produktionen hier, aber wenn ich mal die deutschen Firmen nehme, die im weitesten Sinne mit dem Thema Schuh zu tun haben, dann ist das eine deutlich dreistellige Millionensumme an Schuhen, die da bewegt werden. Und von daher werden noch viele Fachleute gesucht und ich sage aus eigener Erfahrung: Wir haben also dringend jemanden gesucht, den wir ausbilden wollten und da hat uns dieses schlechte Image wirklich sehr behindert, jemanden zu finden."

Seit der Schließung der großen Schuhfabriken in den 1960er- und 1970er-Jahren haben die Pirmasenser ihre Haltung zur Schuhindustrie geändert. Jahrelang hat man den goldenen Zeiten der blühenden Industrie nachgetrauert, doch das ist nun vorbei. Die Pirmasenser Museumschefin Heike Widmer sieht einen grundlegenden Mentalitätswandel.

"Also früher war es so, dass jede Familie was mit Schuhen zu tun hatte. Das findet man heute nicht mehr. Heute gibt es einfach andere Industriezweige, andere Berufe, die wichtig sind. Früher war es so, da ging man von der Schule direkt in die Fabrik, um Geld zu verdienen. Diese Gedanken haben sich komplett gewandelt, es wird mehr auf Ausbildung wert gelegt. Es wird mehr auf vielfältige Ausbildung wert gelegt, anstatt auf diese Monoindustrie. Die einem ja im Prinzip auch das Genick gebrochen hat."

In der ehemals größten europäischen Schuhfabrik Rheinberger mitten in Pirmasens werden keine Schuhe mehr hergestellt – sondern es wird spielerisch geforscht. Hier, wo einmal 2500 Menschen Arbeit fanden, hat die Stadt das sogenannte "Dynamikum" eingerichtet, eine Art Wissenschaftsspielplatz für Kinder und Erwachsene. In den sorgfältig renovierten alten Fabrikhallen stehen Geräte, an denen die Besucher gegen Eintrittsgeld physikalische Experimente aller Art machen können.

Sie lassen Kugeln rollen, um die Schwerkraft zu beobachten. Setzen Zahnräder in Bewegung, um ihre Kraftwirkung zu erkunden. Ein Wissenschaftsmuseum zum Mitmachen nennt Pirmasens Oberbürgermeister Bernhard Matheis diese neue Nutzung der alten Schuhfabrik.

Der Politiker möchte mit diesem großen Wissenschaftsspielplatz für Kinder und Erwachsene die Begeisterung für künftige Technikentwicklungen wecken - gerne auch Ingenieursgeist für neue Schuhtechnologie.

Das stadtbild-prägende Gebäude nach Schließung der Schuhfabrik einfach abzureißen - das kam für die Stadtpolitik ohnehin nicht in Betracht.

"… und die grundsätzliche Entscheidung muss man irgendwann treffen (…) Gibt man diese Tradition auf oder bekennt man sich zu dieser Tradition. Also marketingtechnisch würde man sagen: Pirmasens hat sich eine Marke erworben, Schuhmetropole, gibt man diese Marke jetzt leichtfertig auf oder setzt man mit anderen Funktionen auf diese Marke auf. Und wir haben uns dazu entschlossen, unsere Schuhhistorie nicht in den Mülleimer zu kehren, sondern das Positive und das Zukunftgewandte, das darin steckt, auch nach außen zu kehren."

Inzwischen füllen sich einige der Schuhfabriken wieder, die in den 1960er- und 70er-Jahren geschlossen wurden. Genutzt werden sie für Fitnesscenter oder Galerien, in einem Gebäude wurden Lofts zum Wohnen eingerichtet.

Im Dorf Hauenstein vor den Toren der Stadt hat man einen etwas anderen Weg eingeschlagen. Hier setzt man vor allem auf den Schuhverkauf. Anlaufstelle für Interessierte ist eine in den 1920er-Jahren im Bauhausstil errichtete Schuhfabrik, die heute als Deutsches Schuhmuseum und als Touristenbüro für die Region genutzt wird. Museumsleiter Willy Schächter beantwortet hier geduldig die Fragen der Menschen, die teilweise von sehr weit herkommen, weil sie gehört haben, das man hier gut Schuhe kaufen kann.

Frau: "Gut, ich habe gehört, hier gibt es (….) Fabrikverkauf? (…) In Hauenstein. Und ich weiß auch nicht, was es sonst an Schuhfabriken hier gibt."

Schächter: "Hier in Hauenstein? Hauenstein ist das größte Schuhdorf Deutschlands. Und in Hauenstein gibt es ein Outlet-Center mit 35 großen Schuhhandelshäusern. Teilweise ab Fabrik, ab Lager. Und das ist zu Beginn des Ortes, wenn mit von der B 10 reinkommt. (….) In Hauenstein gibt es also diese Schuhmeile. Diese Schuhmeile beinhaltet ein riesiges Areal, wahrscheinlich das größte Deutschlands, wo jeden Tag eine Millionen Schuhe angeboten werden."

Auch samstags und sonntags kann man auf der Schuhmeile gleich neben der Fernstraße zwischen Pirmasens und Karlsruhe Schuhe kaufen – die Kunden reisen teilweise aus benachbarten Bundesländern und aus Frankreich an.

Die alte Schuhfabrik Joseph Seibel liegt nur einen Steinwurf von der Schuhmeile entfernt. Die elsässische Schichtführerin Marie Roth glaubt daran, dass hier künftig nicht nur Schuhe aus Asien und Osteuropa verkauft werden - sondern auch wieder mehr Schuhe, die in der Region produziert werden:

Roth: "Denke ich schon, ja."
Frage: "Wie könnte das gehen?"

Roth: "Vielleicht durch die Qualität oder dass die Arbeiter im Ausland mal mehr Geld möchten. Das kommt ja vielleicht auch mal, dass die Leute im Ausland mal was verdienen möchten. Vielleicht haben wir dann das Glück, das wieder mehr Arbeitsplätze nach Deutschland kommen."

Frage: "Also, die Hoffnung haben sie noch nicht aufgegeben?"

Roth: "Nein, die habe ich nicht aufgegeben. Darf man auch nicht aufgeben."


Weißenfels: Alte Schuhe im Museum - Von Susanne Arlt

Der Schuhstadt Weißenfels stand nach dem Ende der DDR ein ebenso krasser Niedergang bevor wie ihrem westdeutschen Pendant Pirmasens, das mit der Abwanderung der Schuhfabrikanten zu kämpfen hatte. Dabei hatte einst alles so schön angefangen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Weißenfels an die 100 größeren und kleineren Schuh- und Schaftfabriken. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Betriebe verstaatlicht, aus ihnen wurde dann ein Kombinat und Weißenfels entwickelte sich zum größten Schuhproduktionsstandort der DDR. 6.000 Menschen arbeiteten dort in den großen Produktionsstätten und in den Forschungseinrichtungen. Doch mit dem Fall der Mauer kam der Niedergang. Überlebt haben nur eine Handvoll Schuhbetriebe und das Schuhmuseum im Schloss Neu-Augustusburg.

Wer die völkerkundliche Abteilung des Schuhmuseums in Weißenfels betritt, der taucht ein in eine Frauenwelt. 450 Paare sind in den Vitrinen ausgestellt. Zierliche Barockschuhe, klobige Plateauschuhe, schmale Sandalen. Zugegeben - ein paar Männerschuhe sind auch dabei. Die Modelle stammen allesamt aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Die Stadt Weißenfels war damals Schuhmetropole, erzählt Angela Sengewald, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums. Die historische Sammlung sei daher auch eine der umfangreichsten in ganz Deutschland. Warum sich gerade in dem kleinen Städtchen Weißenfels im Süden von Sachsen-Anhalt über 100 Schuhfabrikanten niederlassen, ist nicht wirklich überliefert. Angela Sengewald vermutet, dass der Standort zwischen den beiden Messestädten Leipzig und Naumburg mit ausschlaggebend gewesen ist.

"Eine Ledersohle hält nur eine gewisse Zeit und man muss seine Schuhe einfach neu besohlen lassen. Man fuhr auch nicht mit der Bahn, man lief im Regelfall. Stellen Sie sich vor, sie laufen aus dem Thüringischen ins Sächsische hinein zur Leipziger Messe, dann war es doch üblich, dass man sich hier in Weißenfels ein Paar neue Schuhe kaufte, um in Leipzig schick zu sein oder sich wenigstens die Schuhe besohlen ließ. Und so hat sich nach und nach ein Industriestandort entwickelt."

Der bereits im 19. Jahrhundert für seine ausgefallene Schuhmode bekannt ist. Inspirieren ließen sich die Fabrikanten dabei von Modellen, die sie sich von ihren Reisen aus der ganzen Welt mitbrachten. Diese Mitbringsel findet man heute noch im Schuhmuseum in Weißenfels. So unterschiedlich die Regionen, so unterschiedlich die Geschmäcker.

"Meine Lieblingsschühchen sind … wenn Sie mal da unten. Etwa 30 Zentimeter hohe Badeschuhe, im türkischen Bad zu tragen, sogenannte Stelzenschuhe. Man läuft über warme Steine mit diesen Schuhen, die äußerst dekorativ sind, mit Perlmutt verziert, mit Silberfäden, also etwas ganz ganz Entspannendes auch."

In den Vitrinen stehen finnische Latschen aus getrockneter Baumrinde - praktisch aber nicht wirklich fesch. Ganz anders die Modelle aus Indien. Sie sind bunt und mondän, aufgenähte pfenniggroße Plättchen aus Spiegelglas sollen die Sonnenstrahlen reflektieren und selbst die Sohlen wurden mit Silberfäden dekoriert. Dass ein Schuh zur echten Tortur werden kann – für die Frau versteht sich – ist im dritten Raum zu sehen. In einer Vitrine sind chinesische Schühchen ausgestellt für den sogenannten Lotusfuß.

"Hier werden kleine Mädchen im Alter von fünf, sechs Jahren die Füße gebunden, die Zehen gebunden unter dem Mittelfuß, etwas ganz Schreckliches. Und wir müssen auch wissen, dass es noch weh getan hat, der kleine weiche Kinderfuß wird zu einem orthopädischen Element verstümmelt, würden wir hier in Europa sagen. Aber in China war es halt so, kleine Füße, schöne Frau."

Der zweite Teil des Museums behandelt den geschichtlichen Abriss. Gezeigt werden die Anfänge und der Niedergang der Schuhkultur in Weißenfels. Besonders eindrucksvoll sind vor allem die reich verzierten Schuhmodelle aus der Barockzeit. Im 18. Jahrhundert entsteht der raffinierte Stöckelschuh. Eine ideale Hülle für die Füße der höfischen Damen.

"Man zeigt Po und Busen. Und um das zu betonen, braucht man den Absatzschuh. Durch den Absatzschuh so ab fünf Zentimeter wird die Wirbelsäule ein kleines bisschen gekippt und auch das Becken wird ein bisschen anders dargestellt, und dann wird man einfach weiblicher."

Im Zuge der Industrialisierung übernehmen dann Maschinen einen großen Teil der Handarbeit. Schon damals wurden vor allem Frauen entlassen, sagt Angela Sengewald. Doch das ist kein Vergleich zu dem, was 100 Jahre später passieren sollte. Zu Zeiten der DDR arbeiten 6.000 Menschen in dem Schuhkombinat "Banner des Friedens". Vor allem für die Sowjetunion produzieren sie täglich 30.000 unterschiedlichste Schuharten, liefern ihre besseren Produkte in die BRD. Nach dem Mauerfall aber bricht die Schuhfertigung komplett zusammen. Der osteuropäische Markt kann sich die neue Währung D-Mark nicht mehr leisten. Ein herber Schlag für die ganze Region.

Nur eine Handvoll Schuhbetriebe hat überlebt. Katrin Schulze wundert dieser Niedergang allerdings nicht. Die Schuhdesignerin hat einst in dem Kombinat in Weißenfels gelernt.

"Ich habe da ja als Azubi am Band gearbeitete und Schnürsenkel eingefädelt in braune Turnschuhe, die eh schon nicht schön waren. Und dann waren die braunen Schnürsenkel alle und da habe ich gesagt, was nehmen wir jetzt? Ja nimm schwarze. Da habe ich gesagt, das geht eigentlich nicht. Die konnten nicht, weil sie die Möglichkeit nicht hatten und die Schuhe waren ja nicht so toll, nicht so modisch."
Auch Katrin Schulze hat nach dem Fall der Mauer ihre Arbeit verloren. Doch Schuhmode sei ihre Passion, sagt sie. Und über Umwege ist die 42-Jährige wieder in der Schuhproduktion gelandet. In einer kleinen Remise steht ihre Werkstatt. Dort entwirft und fertigt sie vor allem historische Modelle für Nostalgiker des Mittelalters an: spitze Schnabel- oder Gauklerschuhe. Demnächst will sie Ritterstiefel für Männer entwerfen. Wer will, kann bei ihr aber auch edle Maßschuhe aus Leder ordern. Statt mit einem Holzmodell, einem Leisten zu arbeiten – die sind ihr zu teuer – schneidet Katrin Schulze direkt aus dem Leder die Formen und näht den Schaft dann auf die Sohle.

"Weil ich brauche nicht tausend und eine verschiedene Form von Leisten, nicht für jede Größe, nicht für jede Form. Ich kann das hier selber variieren, wie ich das möchte. Ich habe den Schaft und habe die Sohle und nähe die dort auf. Da kann ich eigentlich jede Form machen. Man erreicht mit weniger Aufwand ein optimales Ergebnis."