Auf Nazi-Jagd

Von Thomas Klatt · 27.09.2013
Die Aktivitäten des Simon-Wiesenthal-Centers aus Los Angeles, das NS-Verbrecher in aller Welt aufspürt, haben zum Teil für heftige Diskussionen gesorgt. Auch unter deutschen Juden gehen die Meinungen über diese private jüdisch-amerikanische Organisation weit auseinander.
"Dies ist die Mailbox von Wiesenthal Center Operation Last Chance. Ihr Anruf kann zur Zeit leider nicht entgegen genommen werden. Sie haben aber nach dem Signalton die Möglichkeit Ihren Namen und eine Nachricht zu hinterlassen. (Piep)"

So klingt es, wenn man die 0800er-Nummer anruft, die auf den Plakaten des Simon-Wiesenthal-Centers angegeben ist. "Operation Last Chance", dahinter ist das Eingangstor von Auschwitz abgebildet. Darunter ist zu lesen: "Spät, aber nicht zu spät." Man soll Namen, Adresse und Telefonnummer von noch lebenden Nazi-Verbrechern melden. Dafür winkt eine Belohnung von 25.000 Euro. Aber ist diese Aktion so lange Zeit nach dem Ende der Nazi-Herrschaft noch sinnvoll? Für den Berliner Rabbiner und geschäftsführenden Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama, ist es eine legitime Form der Tätersuche.

"Dann hätte man auch vor 50 Jahren so eine Plakataktion machen können, da hätte man die gleichen Fragen bekommen. Es stört natürlich immer, wenn man nach Nazitätern fragt. Das war zu allen Zeiten so, das war in den 50erJahren, so war das in den 60er Jahren, so war das in den 70er Jahren. Das hat Adenauer schon, was genug ist, muss doch genug sein gebracht. Ich glaube so kann man da überhaupt nicht ran gehen."

Auch Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat sich wohlwollend zu der Plakataktion Last Chance geäußert. Immerhin sollen laut Aussage des Simon-Wiesenthal-Centers schon Dutzende wichtige Hinweise auf Nazi-Verbrecher eingegangen sein. Auch Rabbiner Daniel Alter unterstützt die Aktion.

"Letzten Endes geht es darum, Verbrecher dingfest zu machen, Verbrecher vor Gericht zu stellen, die unter Umständen an der Ermordung meiner Großeltern, meiner Onkels oder Tanten beteiligt waren. Und auch dafür ist es meines Erachtens 2013 nicht zu spät."

Doch im deutschen Judentum stößt die amerikanische Tätersuche nicht nur auf ungeteilte Gegenliebe. Der Münchner Historiker Michael Wolffsohn lehnt sie geradezu ab.

"Diese Kampagne ist nicht ernst gemeint, was man daran erkennen kann, dass die Plakate nur in 4 deutschen Städten aufgehängt sind. Wenn ich es nur in 4 Großstädten plakatiere, dann signalisiert das Simon Wiesenthal Zentrum unfreiwillig, dass es ihm mehr auf den Showeffekt als auf die effektive Suche ankommt."

Die Nazi-Täter von einst sind heute um die 90 Jahre alt. Sollten diese sehr alten Männer heute vor Gericht gestellt werden, befürchtet Wolffsohn eine geradezu fatale Wirkung in der Öffentlichkeit.

"Ich halte es für einen Bumerang und erinnere an den Demjanjuk-Prozess, der in weiten Kreisen der Öffentlichkeit das Gegenteil von dem erreicht hat, was erreicht werden sollte, dass nämlich plötzlich für einen ehemaligen Verbrecher so etwas wie Mitleid aufkommt. Das wäre ja bei den anderen Prozessen auch zu erwarten, denn die Verbrecher, die gejagt werden sollten, sind auch nicht jünger als Herr Demjanjuk war und ich möchte Mitleidseffekte für Verbrecher verhindern."

Das wiederum befürchtet Rabbiner Daniel Alter nicht. Das große Unrecht der Nazi-Zeit verjährt auch nicht nach Jahrzehnten. Also sei die Tätersuche auch heute noch legitim.

"Es gibt klare Verfahrensrichtlinien. Und wenn ein Täter verhandlungsfähig ist, dann sollte er vor Gericht gestellt werden. Genau wie man so banal sagt, Unwissenheit schützt vor Strafe nicht sollte auch Alter nicht vor Strafe schützen."

Nur komme es eben auf die Art der Strafverfolgung an, meint Michael Wolffsohn. Schließlich arbeitet in Ludwigsburg weiterhin die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen. Von dort aus werden auch heute noch Verfahren gegen ehemalige Nazi-Täter in Gang gesetzt. Auch der Publizist und Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik hält die Methodik des Simon-Wiesenthal-Centers für unseriös.

"Primitiv ist die Art und Weise wie man versucht sich der schwierigen Frage ehemaliger Massenmörder und ihrer Beihelfer zu versichern auf einer Art und Weise nähert, die wir aus Wild-West-Filmen kennen, mit Steckbriefen und Kopfgeld. Dadurch wird vor allem an relativ niedrige Instinkte, nicht aber an den Aufklärungswillen des Publikums appelliert."

Kaum waren die Last-Chance-Plakate in Deutschland geklebt, hob das Simon-Wiesenthal-Center zur nächsten Aktion an. Das Landser-Heft sollte verboten werden. Auch dies ist für Andreas Nachama eine gute Initiative.

"Wenn einer noch mal die Frage danach stellt, wollt ihr in Deutschland das so hinnehmen, dann finde ich die Frage doch legitim."

Rabbiner Daniel Alter begrüßt die Arbeit aus Los Angeles ebenfalls.

"Falls man beim Simon-Wiesenthal-Center zu der Auffassung gekommen ist, dass der Landser kriegsverherrlichende Aspekte in sich birgt, dass dort das Dritte Reich verherrlicht wird und dass Antisemitismus Vorschub geleistet wird, dann finde ich das richtig, wenn dort Initiativen gestartet werden, um diese Publikationen vom Markt zu nehmen."

Diese Aktion des Simon-Wiesenthal-Centers ist schon jetzt von Erfolg gekrönt. Nicht etwa, dass der Landser verboten wurde. Aber die herausgebende Bauer Media Group nimmt den Landser nun freiwillig vom Markt. Offensichtlich ist der Imageschaden mittlerweile größer als der Gewinn durch den Nischen-Verkauf des kleinen Din-A-5-Heftes. Michael Wolffsohn bezweifelt aber, dass es den Verantwortlichen im Simon-Wiesenthal-Center wirklich um ein Verbot des kleinen Heftes ging.

"Tacheles gesprochen geht es um Nachweis von Aktivitäten, um Sponsoren zu gewinnen. Und die Landserhefte hören sich martialisch an und seht her, dieses ekelhafte Zeug bekämpfen wir, dann sagen manche Sponsoren Bravo, Bravo."

Ähnlich sei auch die Idee zu bewerten, eine jeweils aktuelle Top-Ten-Liste der weltweit schlimmsten Antisemiten von Los Angeles aus in die Welt zu setzen. Als auf dieser Liste zuletzt der deutsche Journalist Jakob Augstein auftauchte, waren die Wellen der Empörung und Solidarisierung mit Augstein hierzulande groß. Es gehe auch gar nicht um eine realistische Einschätzung der deutschen Demokratie, beklagt Michael Wolffsohn. Das Simon-Wiesenthal-Center benutze Deutschland vielmehr als werbewirksame Negativ-Folie.

"Sie benutzen das traditionelle Image in Bezug auf die Deutschen und präsentieren in weiten Kreisen die Bundesrepublik als einen mindestens braun punktierten Staat."

Auch Micha Brumlik kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es dem Simon-Wiesenthal-Center vor allem um billige PR-Kampagnen geht.

"Das ist ein von privaten Spendern getragener Verein, das ist keine öffentliche wissenschaftliche Institution. Das ist keine Universität, das ist kein Forschungsinstitut."

Das Simon-Wiesenthal-Center trägt zwar den berühmten Namen. Aber Simon Wiesenthal hat das 1977 eröffnete Center weder gegründet noch geleitet. Die antideutsche Politik des Centers stehe sogar im krassen Gegensatz zu Wiesenthals damaliger persönlicher Einstellung, meint Michael Wolffsohn.

"Dass der Fall der Mauer ein Anlass der Freude ist ebenso wie die Entwicklung zur Wiedervereinigung Deutschlands, als die DDR noch bestand. Das hat das Wiesenthal Zentrum nicht gewollt und ich weiß aus Gesprächen mit Simon Wiesenthal, dass er über diese antideutschen Aktivitäten des Simon Wiesenthal Centers alles andere als glücklich gewesen ist."