Auf den Spuren des Alstermonsters

21.02.2012
Eine Detektiv-Thriller-Soziopathen-Komödie, die von Hamburg nach Mallorca führt: Mit "Onno Viets" erzählt der Hamburger Autor Frank Schulz die Geschichte eines Hartz IV-Empfängers, der Privatdetektiv wird. Leider nervt das andauernde Bemühen um Originalität.
Die Boulevardmedien bezeichnen ihn wahlweise als "Hüne", "Teufel", "Horrorkreatur" oder "Alstermonster". Seine Freunde nennen ihn "Händchen", für alle anderen ist er der "Irre vom Kiez". Und er sieht wahrhaft schrecklich aus: ein ganzkörpertätowierter Muskelberg von einem Mann, mit zahnlosem Maul, abgeschnittenen Ohren und Hörnern auf dem nackten Schädel. Was in diesem Kopf vorgeht, ist allerdings nicht so leicht zu ergründen. Zu sehen ist der Hüne zunächst lediglich auf einem Videoclip, der im Internet für gigantische Klickzahlen sorgt. Zwei hessische Hamburg-Touristinnen haben die Szene gefilmt, wie der Hüne, nackt auf einem Motorrad, über den Bootssteg brettert, mit weitem Sprung in der Außenalster landet, durchs Wasser krault, ein Schiff kapert und die dort versammelten Touristen als Geiseln nimmt.

Der Hamburger und auf Hamburg spezialisierte Autor Frank Schulz erzählt zunächst nur das, was auf dem Video zu sehen ist. Die Filmausschnitte geben ihm Gelegenheit, seine Qualitäten als Beschreibungskünstler und Wortakrobat vorzuführen. Seine Freude daran, verschiedene Milieus zu zeichnen, ist ebenso unverkennbar wie die Lust an Dialogen und Dialekten. Hessisch und Hamburgerisch buchstabiert er so liebevoll nach, dass er für die aus dem Off gesprochenen Kommentare gelegentlich sogar Lautschrift verwendet. "Foschba" sah er aus, der Hüne, oder auch "fuch'chtba". Der unbekannte Webmaster hat solche Stellen dankenswerterweise untertitelt.

Von dieser spektakulären, temporeichen Szene aus entwickelt sich das Romangeschehen in langen, langsamen, nahezu behäbigen Rückblenden. Erzählt wird die Geschichte von Onno Viets, einem Hartz IV-Empfänger jenseits der Fünfzig, der beschließt, Privatdetektiv zu werden und auch bald in seinen ersten Auftrag hineinstolpert: Für einen an Dieter Bohlen erinnernden Pop-Star soll er die Freundin observieren und Beweise ihrer Untreue liefern. So trifft er neben dem beschatteten Porno-Sternchen auf den Hünen, und aus der Beschattung wird eine ziemlich brisante Freundschaft. Jedenfalls sieht der Hüne das so. Denn auch in einem furchteinflößenden Körper wohnen sentimentale Sehnsüchte.

Im weiteren Verlauf führt die Detektiv-Thriller-Soziopathen-Komödie nach Mallorca und wieder zurück. Onno ist maulfaul, sagt gerne "öff öff" oder "njorp", während im Sprachgebrauch der zu Oberservierenden Floskeln wie "Hallo? Geht's noch?", "Wie geil ist das denn?" und "Geht gar nicht" dominieren. Dazwischen wuchern die Arabesken des Erzählers, die in ihrem andauernden Bemühen um Originalität auch ziemlich auf die Nerven gehen. Eine schlichte Allee erscheint dann so: "Voluminöse Bäume standen der Straße gespreiztes Spalier". Zu Hochform läuft Schulz auf, wenn er Szenerien in St. Pauli oder einen Porno auf "Youporn" beschreibt. "Fummeln an den Ventilen ihrer Meiereien" - das trifft in aller Kürze exakt. Schulz deshalb aber schon als Arno Schmidt-Nachfolger zu bezeichnen - wie es seine Anhänger gerne tun -, wäre dann doch übertrieben. Die Sprachlust, Wortschöpfungskunst und Lautmalerei wirken so, als müsste damit die eher dünne Geschichte künstlich aufgepeppt werden. Wenig überzeugend auch der allzu schlichte Einfall, den Hünen mit einer schweren Kindheit auszustatten, wo er von den Eltern verlassen und von der Tante missbraucht wurde. So argumentieren allenfalls Sozialarbeiter und der "Tatort" der ARD. "Onno Viets und der Irre vom Kiez" wäre aber eher ein Stoff für die Freitagabend-Klamauk-Schiene.

Besprochen von Jörg Magenau

Frank Schulz: Onno Viets und der Irre vom Kiez
Roman
Galiani Berlin, Berlin 2012
368 Seiten, 19,99 Euro
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